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Big Liesel is watching you!

■ Eine fotografische In-Stall-Aktion von Lutz Poltrock mit 22 Kühen und etlichen Menschen zum Angucken: Heute und morgen im Fotoforum

Groß. Ruhig. Warm. Neugierig. Harmlos. Einfach zu fangen: die Kuh. Die Kuh? Welche? Die mit dem kleinen weißen Spiral-Wirbel auf dem breiten Nasenrücken? Die mit den gemein zusammengekniffenen Schlitzaugen? Die mit den Sommersprossen auf der Nase?

Heute ist der Tag der Wahrheit. Heute kommen die Kühe mitten in die Stadt. 2 mal 1,30 Meter, also ziemlich groß, hat Fotograf Lutz Poltrock Kuh-Portraits ringsum an die weißen Wände des Fotoforums gehängt: Ein feuchtes Nasenloch so groß wie eine Hand! Wimpern, so lang wie Ihr kleiner Finger! 22 Kühe, sehr weibliche Exemplare der schwarzweiß aussehenden, aber schwarzbunt genannten Gattung von den Weiden rund um Bremen.

Über 1.000 Negative voll weißschwarzer Kühe hat Lutz Poltrock im letzten Jahr produziert. Gar nicht so einfach! Denn das hieß: Auf die Weiden gehen, die neugierigen Biester herankommen lassen, ganz nah, und sie genau von vorn nehmen ins Objektiv. Kein bißchen seitlich! Die Kuh aber, wer wüßte das besser als Lutz Poltrock, möchte den schweren Kopf viel lieber seitlich schwenken, möchte sich überhaupt nur kurz wundern über den Mensch mit der Kamera und das Haupt schütteln und sich dann wieder wichtigeren, nämlich grünen Dingen zuwenden.

Bei den ersten Kandidatinnen hat der Fotograf auf der feuchten Weide noch allerhand Mätzchen gemacht, richtig rumgefuchtelt wahrscheinlich, damit sie länger als einen kurzen Moment aufmerken, sich womöglich bitte zur Sonne hin drehen, wo das Ablichten besser klappt, wo sich die flaumigen Härchen rings ums Maul zart sehen lassen. Geradewegs und geradeaus sollten sie gucken, aber viele ließen ungerührt von fotografischen Absichten den Kopf hängen: „Tiefer Kopf bedeutet tiefer Rang in der Herde, den mußt du erst mal hochkriegen“, erzählt Poltrock, „da durfte ich nicht den Boss machen auf der Weide!“

Herausgekommen sind Portraits, Gesichter bis zum Bildrand. Die Ohren passen schon nicht mehr drauf. Kühe sehen Dich an, merkwürdig ungewohnt mit beiden Augen zugleich. „Die Augen sind das Wichtigste“, fand Poltrock, und sprach zur taz den schönen Satz: „Ich erlaube mir einen Hinweis auf das Individuum.“

Das sind keine Bilder von Kühen. Das sind Kühe, die gucken zurück. „In den Augen, in diesem Blick des Gegenüber liegt die gemeinsame Geschichte mit dem Mensch, der ganze Weg“, sagt Poltrock, „und der ist immerhin sechs- bis achttausend Jahre lang, beginnt als Lebensgemeinschaft und endet in den Betonställen unserer Agro-Industrie.“

„Der Mensch hat sich gegen die Natur durchgesetzt und darin seine eigene Niederlage begründet“, will Poltrock erinnern, „und je mehr Wissen er über die Kuh hatte, desto weiter entfernte er sich von ihr und organisierte Ausbeutung und Hierarchie.“ Poltrock hat inzwischen auch Wissen über die Kuh und kann erzählen, daß mit der Kuh „der Übergang von der primitiven Hack- zur gepflegten Agro-Kultur“ gelang, daß die Kuh „aus dem Tertiär“ kommt und „ihren Entwicklungs-Höhepunkt vor einer Million Jahre“ hatte. Die Kuh und ihre Verwandten, das hieß für die Menschen Nahrung, Kleidung, Transportgelegenheiten. Heute hat die Kuh das eigene Leben verloren, ist optimiert nach Kilogramm Fleischmasse und Liter Milchleistung, künstlich befruchtet vom langen Arm des Veterinärs.

Weil Lutz Poltrock Fotograf und das Ganze seine Examensarbeit an der Hochschule für Künste ist, hat er aus seinem Thema Foto- Portraits gemacht und sich dazu eine In-Stall-Aktion ausgedacht. Eigentlich hatte er diese Kuh-Gesichter richtig für den öffentlichen Raum konzipiert, hätte sich prima vorstellen können, wie sie stumm und feucht an der Stadthalle auf die Bürgerweide gucken, oder vielleicht auf die Sögestraße. Jetzt hat das Ganze einen anderen Dreh bekommen: 22 ausgewählte Kühe kommen ins Fotoforum und gucken sich ringsum von den Wänden das Vernissage- Publikum an.

Dem Blick dieser harmlos freundlichen Biester sollen sich die Menschen, „die die Kuh in ihrer ganzen Ahnungslosigkeit verwursten“ (Poltrock), nicht entziehen können, deshalb hat er sich für das Super-Format und für das Prinzip Serie entschieden: Diesen Kühen wird ein Blick gestattet auf die Zivilisation der Menschen, die sich vor ihren Augen abspielt. Lange Tische wie zum Picknick stellt Lutz Poltrock auf, Unterscheidungsmerkmal, Kult- und Kultur-Objekte der Menschen. Wie sollen Kühe das wissen? Auch daran ist gedacht. Auf den Tischen wächst Gras. Die Kuh, hereingeholt, soll das Publikum zur Inszenierung werden lassen: Menschliche Eßkultur bei Milch und Suppe muß sich anglotzen lassen, „der Mensch“, hofft Poltrock, „wird sich, indem er den Blick des Tieres erwidert, seiner selbst bewußt.“

An vier Wänden reihum 22 riesige Bilder: das heißt Serie, Austauschbarkeit, fast Nicht-Existenz und zugleich Unverwechselbarkeit, aufs Haar genau, Verbeugung vor der einzelnen, Großen. Die guckt zurück: Groß, ruhig, warm, neugierig, harmlos. Susanne Paas

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