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Fragwürdige Einigung für Haiti

Der gestürzte Präsident Aristide unterzeichnet mit haitianischen Parlamentariern ein Abkommen, in dem seine Rückkehr vorgesehen ist — aber auch der Verbleib des Putschisten Cedras als Armeechef  ■ Von Ralf Leonhard

Managua (taz) — Nach dreitägigen Verhandlungen und einer Marathonsitzung in der Washingtoner Zentrale der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hat Jean-Bertrand Aristide sich mit den Vertretern der haitianischen Legislative auf die Bedingungen für die Wiederherstellung der Verfassungsmäßigkeit geeinigt. Ein Dokument, das in der Nacht auf Montag unterzeichnet wurde, trägt die Unterschrift des am 30.September gestürzten Präsidenten selbst, von Dejean Belizaire für den Senat und von Alexandre Medard für das Unterhaus. OAS-Chef Joao Baena Soares unterzeichnet als Vermittler und Zeuge. Das Abkommen sieht vor, daß Rene Theodore, Chef der gemäßigten Kommunistischen Partei, als neuer Premierminister eingesetzt wird und Aristide als verfassungsmäßiger Präsident ins Land zurückkehrt.

Neu an der Einigung ist, daß Aristide nicht mehr auf der sofortigen Aburteilung oder Exilierung des Putschistenführers Raoul Cedras besteht, sondern ein Votum des Parlaments akzeptiert, das den General für weitere drei Jahre als Armeechef bestätigt. Aristide muß diese Konzession unter starkem Druck der OAS und der USA gemacht haben, die das im Oktober verhängte Wirtschaftsembargo gegen die Putschisten immer wieder unterlaufen haben. Mit Erdöllieferungen retteten sie das Regime mehrmals vor dem Zusammenbruch. Am Samstag legte wieder ein Öltanker in Port-au-Prince an.

Das Abkommen hat mehrere Schwächen: Zum einen nennt es noch kein Datum für die Rückkehr des Präsidenten. Dieses muß vom neuen Premier in Absprache mit dem Parlament festgesetzt werden. Zum anderen fehlt die Unterschrift der Militärs, die bisher jede Verhandlungslösung torpediert haben. Rene Theodore, der zukünftige Ministerpräsident, entging am 21. Januar nur knapp dem Tod, als eine Gruppe von Polizisten ein Parteilokal stürmten. Ein Leibwächter des KP-Chefs wurde dabei getötet. Und auch ein Abgeordneter wurde kürzlich nach einer Beratung im Parlament auf offener Straße beschossen. Man kann davon ausgehen, daß die Putschisten das Parlament, das den neuen Ministerpräsidenten noch bestätigen muß, unter Druck setzen. Denn ein Kommunist ist für die traditionellen Machthaber kaum tragbar — auch wenn er verspricht, den ungeliebten Aristide an die Kandare zu nehmen. Im Übereinkommen steht auch nichts von einer neuen, dem Justizministerium unterstellten Polizei, auf deren Schaffung sich Aristide mit den Parlamentariern schon im November geeinigt hatte.

Warum hat Aristide die für ihn demütigenden Bedingungen akzeptiert? Einerseits dürfte er sich inzwischen keine Illusionen mehr machen, daß die Solidarität der Weltgemeinschaft ihm die Rückkehr in den Regierungspalast ebnet. Die USA wollen durch die massive Repatriierung haitianischer Flüchtlinge verhindern, daß die Demokratie in Haiti mitten im Wahlkampf zu einem innenpolitischen Thema wird. Von dieser Seite war also keine wirksame Schützenhilfe zu erwarten. Zum anderen kann der Präsident seine wirksamste Waffe — die Mobilisierung des Volkes — nur ausspielen, wenn er wieder im Lande ist. Es ist also davon auszugehen, daß Aristide die Machtfrage erst dann, wenn er wieder zurück ist, neu stellt.

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