: Penthasilea per Endlosspule
■ »Frauen 3.000 Frauen« schafft Raum für Frauen-Kunst im Tacheles
Langsam, aber zielsicher bahnt sich die Februarkälte ihren Weg durch wenig wintergeprüfte Großstadtsohlen. Wir befinden uns auf dem Boulevard No 1 der noch existierenden Freifläche hinter dem Tacheles. Nicht mehr lange soll es dauern, bis das schwedische Großkapital die Klauen seiner Schaufelbagger in die Sand- und Schuttberge zwischen den ausrangierten Kunstwerken senkt. Aber noch stehen und liegen sie in der Gegend rum, noch findet der Straßenstrich aus der Oranienburger hier das angemessene Ambiente für den Quicky im Auto, noch läßt die Lust am Open air sich nicht von Minusgraden schrecken. Im Grunde wird die Endzeitstimmung vor der Ruine angesichts der ungewissen Zukunft erst richtig glaubhaft, und allzu bereitwillig lassen wir uns die aufsteigende Kälte, mittlerweile in Wadenhöhe, gefallen, haftet ihr doch die Romantik einer aussterbenden Gelegenheit an.
Dieser Last-Minute-Service liegt heute in weiblicher Hand. Mit einer Diaprojektion auf der Rückwand des Tacheles und dem gegenüberliegenden Gebäude läutet die einwöchige Veranstaltungsreihe Frauen 3.000 Frauen ein. Sechs Projektoren erschaffen zwei dreiteilige Wesen, der Zuschauer steht dazwischen und kann sich durch permanente Drehbewegung ein wenig aufwärmen. Scherenschnitte von Roswitha Baumeister aus schwarzer Folie, stilistisch irgendwo zwischen »Neuen Wilden«, afrikanischem Kunsthandwerk und dem Bastelbogen aus dem antiautoritären Kinderladen, ergeben sechs hoch sechs verschiedene Kombinationsmöglichkeiten. Auch mit rudimentären Mathematikkenntnissen ist absehbar, daß da die 3.000er Marke locker links liegen bleibt. Wie am Fließband wechseln zwei Frauen fieberhaft Beine, Bäuche und Köpfe aus. Mengenmäßig wäre dem Veranstaltungsmotto also Genüge getan. Aber daß es sich bei den mysteriösen Flugobjekten, die horizontal über bröckelnden Häuserfassaden schweben, um Frauen handelt, ist nicht immer ganz eindeutig. Solchen Zweifeln schafft die Stimme aus dem Off Abhilfe. Da werden in nicht endenwollender alphabetischer Aneinanderreihung Namen verlesen — Mädchennamen, versteht sich. Als würden zwei frischbackene Mütter angesichts einer Tochter an Stelle des erwarteten Stammhalters über dem Namensbüchlein die Haare raufen. Während die eine wacker über Uta und Waltraud zu Zenzi fortschreitet, macht sich die zweite irgendwo zwischen Muriel und Myriam breit. Dazu schwebende Synthesizerklänge, ein imitierter Frauenchor. Die romantische Kühle der Nacht hat nun in den empfindsamen Blasen der Zuschauerinnen Einzug gehalten, und obwohl die Diaserie Spaß gemacht hat, ist frau ganz froh, daß die zweite Mutter bei M fündig wird und damit die Show beendet ist.
Auf geht's in die Ausstellung im blauen Salon, der heute für teures Geld beheizt und zuvor mit viel weiblichem Elan entrümpelt wurde. 3.000 Frauen sollen hier die Möglichkeit erhalten, sich emotional, visuell und akustisch auszudrücken. Abgewiesen wurde keine — es geht darum, ein Fanal zu setzen: solange nur fünf Prozent aller Kunstzeitschriften sich von Frauen geschaffene Kunst widmen, gilt es, den Künstlerinnen in die Startlöcher zu verhelfen. Selbst im Tacheles sind 80 Prozent der Künstler sogenannte »Schwanzträger«, wie mir aus gut unterrichteten Kreisen als Ergebnis einer handfesten Recherche zu Ohren kam. Heute abend lümmeln sich die bösen Buben in Muttis »Kleinem Schwarzen« hinterm Tresen und verkaufen mit zarter Hand Bier und Sekt ans Publikum. Einige Exemplare wurden von Yvonne Harder zur schönen Diva gestylt, um den Hals tragen sie ein Schild, das neben dem Namen des Modells auch seine biologische Zusammensetzung nebst Geburtsjahr preisgibt. (Modell Stephanie — Wasser, Eiweiß, Fett auf Kalk 1964). In New York machten vor ein paar Jahren die Gorilla-Women Furore. Mit einer Affenmaske über dem Kopf stürmten sie die zuständigen politischen Instanzen, um auf den Mißstand weiblicher Unterrepräsentation im Kunstbetrieb aufmerksam zu machen. Hier nun, im Tacheles lustwandeln ein paar Frauen mit balinesischer Halbmaske durch die Halle.
Juliette Güthlein verfolgt in einer spiralförmig angeordneten Fotoreihe die letzten Tage einer 94jährigen aus Prag, in der Mitte ist deren Stimme über Kopfhörer zu empfangen. Außerdem dokumentiert sie mit einem goldgerahmtem Foto an der Wand inmitten von Papierblumen und einem angebissenem Lebkuchenherz die erste Frauenhochzeit in Berlin. Der griechischen Mythologie entlehnt ist die Installation von Michaela Ullrich. »Achilles und Penthasilea«, zwei Werke im stählernem Panzer, zwei Verliebte, die zueinander nicht kommen können, weil sie »zu« sind. An seiner einzig verletzlichen Stelle zeigt Achilles narzistisch einen Spiegel. Penthalisea wird per Endlosspule als rasende Meande projiziert, Achilles ersticht sie. Im Sand verwelkte Narzissen und Blutstropfen — sichtbare Überbleibsel verletzter Gefühle. Ein wunderschönes schmiedeeisernes Objekt von Uli Ertl und Laurie Ruthsmith zeigt vier überdimensionale rote Münder um einen stählernen Tisch und nennt sich Abend(b)rot. In einer großen Blechschale schmilzt ein säulenartiger Eisklotz vor sich hin, gekrönt von zwei fellumwickelten Fischen. Mögen die Februarwinde dem blauen Salon ordentlich um die Ohren pfeifen, damit das Opfer von Joshina noch bis zum letzten Ausstellungstag erhalten bleibt. Antje Braunschweig
Frauen 3.000 Frauen noch bis zum 1. März im Tacheles.
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