: „Sie schossen auf alles Lebende“
■ Während Sudans Regierung von Demokratie und Frieden spricht, verschärft sich der Krieg im Südsudan
Berlin (taz) — In Sudans Hauptstadt Khartum ist am Montag das Übergangsparlament zusammengetreten, das laut Regierung eine Demokratisierung des islamistischen Staates einleiten soll. Dies folgt auf Meldungen, wonach die Friedensgespräche zwischen der Regierung und der südlichen Guerilla „Sudanesische Volksbefreiungsarmee“ (SPLA) einem Erfolg nahe sind. Wie es um den Frieden im Sudan bestellt ist, zeigt der Bürgerkrieg im Süden. Dort kämpft eine abtrünnige SPLA-Fraktion unter Lam Akol mit Regierungshilfe gegen die SPLA-Führung von John Garang. Während Garang sich auf das Volk der Dinka stützt, rekrutieren sich die Dissidenten vor allem aus dem Nuer-Volk. Allein in der Region um Yirol sollen in den letzten Wochen über 400.000 Menschen durch die Kämpfe ihre Heimat verloren haben. Von dort erreichte uns folgender Bericht eines deutschen Hilfsarbeiters.
Die Hütten abgebrannt, das Vieh getötet oder entführt, weit verstreut liegen verkohlte Reste von Mais- und Erdnußvorräten: so sieht der südsudanesische Ort Pagarau aus nach einem Überfall der Akol-Miliz. Im Dorfbrunnen finden wir die verwesenden Reste von Kindern, die man angeblich lebendig hineingeworfen hat — was ein überlebendes Kind später bestätigt.
Jetzt ist Pagarau ein Geisterdorf. Im Umkreis von 15 Kilometern ist alles menschenleer. Weil den Überlebenden zum Teil die Kraft fehlte, die Toten zu begraben, hat man die Leichen mit Steinen und Bettgestellen bedeckt, um sie vor den Hyänen zu bewahren. In Pagarau allein gab es 92 Tote; insgesamt sind es knapp 200 Tote und über 1.000 Verletzte, von denen das Rote Kreuz einige ausfliegen konnte.
Nach Angaben des SPLA-Kommandeurs für Yirol, die von Augenzeugen bestätigt werden, drangen am 28. Januar etwa tausend uniformierte Kämpfer der Akol-Miliz in einem nächtlichen Fußmarsch über eine nördlich angrenzende Sumpfebene nach Pagarau ein. Mit Granatwerfern, automatischen Gewehren und Handgranten gingen sie gegen Mensch und Tier vor. Mehrere hundert Frauen und Kinder wurden entführt.
In den Nachbarorten Yirol und Aluakluak sind einige inzwischen wieder aufgetaucht, auch einige, die sich in den Sumpf flüchteten. Sichtbar traumatisiert, erzählen sie, die Nuer seien besonders aggressiv gewesen. „Sie schossen und stachen auf alles Lebende — Hühner, Rinder, Babys“. Vor einer kugeldurchsiebten Hütte, der Boden überzogen mit trockenem Blut, liegt das Skelett eines etwa drei Monate alten Babys. Es ist nicht viel größer als der Stiefelabdruck des Kommandeurs daneben. Der kleine Schädel weist einen Pistolendurchschuß auf.
Die Leprastation am Ortsrand, die physisch überraschend intakt ist, wurde nicht geschont — im Gegenteil: Auf die soliden Zementhütten mit Zinkdach, wo die Patienten leben, wurde mit Bazookas gefeuert, Handgranaten wurden hineingeworfen. Die Leprahütten sind vom MG- Feuer durchsiebt. Von zweihundert Patienten sollen rund fünfzig den Tod gefunden haben, zum Teil in den Sümpfen, in die sie sich geflüchtet hatten.
Wie kann es zu so etwas kommen? In Yirol kursiert folgendes Gerücht: Die SPLA-Führung in Yirol habe eine Parteinahme ihrer Truppe für die Akol-Fraktion befürchtet, alle Nuer-Offiziere verhaftet und eines Morgens im Militärgefängnis erschossen. Einige seien entkommen; Pagarau sei die Rache gewesen.
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