KOMMENTAR: Politik — sinnlich erfahrbar
■ Bonner wollen sich nicht den Folgen ihres Tuns aussetzen
Berlin rüstet sich aufs heftigste für den Umzug der Bundesregierung: Verkehrskonzepte werden entworfen, Gelände für Regierungsgebäude ausgewiesen und Standorte für den Wohnungsbau gesucht. Wer die Umzugsvorbereitungen der Bundesregierung und des Senats aber wachen Auges beobachtet, kann nur den Kopf schütteln. Daß der Bund — respektive der regierende Beamtenapparat — ein perfektes Bonn mitten in Berlin will, ahnt mancher mit Grausen. Aber die Bonner wollen noch mehr.
So erarbeitet der Senat in Absprache mit Bonn ein Verkehrskonzept, nach dem alle Autos per Tunnel unter dem Regierungsviertel durchgeleitet werden. Denn das Parlament darf nicht im Verkehrsstrom ersticken, betonen Bundes- und Senatsvertreter immer wieder. Der Senat weist einen sogenannten Entwicklungsbereich für das Regierungsviertel aus. Damit soll, heißt es hoffnungsfroh, dem Bund ein Vorkaufsrecht gesichert und steigende Bodenpreise unterbunden werden. Dürfen doch die Umzugspläne nicht von Spekulanten bedroht werden. Der Senat läßt Wohnungen bauen, die für die — gewiß nicht schlecht verdienenden — Bundesbediensteten reserviert sind. Die dürfen schließlich nicht unter der Wohnungsnot leiden, heißt es. Und wie selbstverständlich hingenommen wird die zukünftige Bewachung des Regierungsbereichs von einem personell luxuriös ausgestatteten Sicherheitsapparat.
Aber Wohnungsnot, Verkehrsstau oder Kriminalität sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind Ergebnisse der Politik eben dieser Bundesregierung. Unbequeme, für manche Menschen sogar existenzvernichtende Ergebnisse. Daß sich die Vertreter dieser Regierung mittels Sondergesetzen überall Schonräume einrichten wollen, um sich vor den Folgen ihres Tuns zu schützen, ist menschlich verständlich. Politisch ist es fatal.
Denn so bleiben Mißstände jeglicher Art ewig bestehen. Es fehlt denen, die etwas ändern könnten, die Triebfeder der persönlichen Betroffenheit. Wie wäre es, wenn bundeseigene Wohnungen in der Hauptstadt für Bedürftige reserviert und die Bundesbeamten auf den freien Wohnungsmarkt verwiesen wären? Wenn sich die Autos in kilometerlangen, stinkenden Staus zwischen den Ministerien zusammenballten und auf den Gehsteigen parkten? Wenn dort exakt so viele Polizisten zu sehen wären wie in Hoyerswerda? So wären die Ergebnisse der Politik für deren Urheber sinnlich erfahrbar — und vielleicht stellt dann der eine oder die andere fest, daß manches zu verbessern wäre. Eva Schweitzer
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