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Die Sterne leuchten immer noch

„Schatten und Nebel“ ist Woody Allens persönlichster Film  ■ Von Christiane Peitz

Die Dunkelheit verschluckt ihn fast. Im schummrigen Licht der Straßenlaternen huscht er durch die Gassen, drückt sich ängstlich an den Häuserwänden entlang und verschwindet, immer wieder, im Nebel. Nervös blickt er um sich, erschrickt vor jedem Geräusch und den Schatten auf dem Kopfsteinpflaster, knetet seine Finger, trägt zu lange Hosen, und die Augen hinter den Gläsern der Nikkelbrille wirken furchtsam wie nie. Wenn er redet, mit sich und den Gestalten, die aus der Dunkelheit auftauchen, dann ist es ein zaudernder, stotternder, endloser Monolog: zaghafter Einspruch gegen die Finsternis — ein Pfeifen im Wald. Nie zuvor war Woody Allen so klein und so hilflos, und nie zuvor war sein Plappern so tröstlich. Sein Name: Kleinman. Sein Beruf: Angestellter. Seine Rolle: Er kennt sie nicht. — Denn eigentlich ist ihm keiner auf den Fersen. Seit der Zirkus in der Stadt ist, geht der Würger um. Die Polizei ist machtlos, deshalb entwikkelt die Bürgerwehr — eine kafkaeske Truppe von Finsterlingen — einen Plan: Eine Stadt sucht einen Mörder, und Kleinman sucht mit. Bloß daß er den Plan und seinen Auftrag nicht kennt. So wird er vom Verfolger zum Verfolgten, vom Täter zum Opfer.

Schatten und Nebel ist Woody Allens erster Schwarzweißfilm seit Zelig, sein erster Film, der in Europa spielt — einer imaginären Stadt in den zwanziger Jahren — und die erste Produktion, die er komplett im Studio erstellt hat. Weill-Songs und Fritz-Lang-Zitate, Fellinis Zirkus und Slapsticks wie von Chaplin — Kulissen und Ästhetik huldigen dem großen europäischen Kino und den Anfängen der Filmgeschichte. Eine Verbeugung, aber eine selbstbewußte: Schatten und Nebel ist Woody Allens künstlichster Film und zugleich sein persönlichster. Ein Bekenntnis der Ohnmacht und eine altmodische Liebeserklärung an das Kino als Gegenwelt: gegen das Einvernehmen, die Niederlage, das Verstummen. „Ich bin nicht schuldig,“ sagt Kleinman immer wieder, wenn auch vergeblich. Und Allen sagt, in einem Interview mit dem französischen 'Nouvel Observateur‘: „Als ich jung war, verbrachte ich meine Zeit mit der Einstudierung von Zaubertricks. Ich glaube, man braucht Illusionen, um zu überleben. Zuviel Wirklichkeit ist einfach nicht zu ertragen. So oder so muß man sich selbst betrügen, eine skeptische Haltung zur Wirklichkeit entwikkeln.“

Kleinman trifft Mia Farrow, die Schwertschluckerin. Mia Farrow trifft Kathy Bates, Lily Tomlin und Jodie Foster im Hurenhaus. John Cusack, der Student, will eine Nacht mit ihr. Er bietet 700 Dollar. Das schmeichelt ihr, und sie gewährt ihm die Nacht. Cusack trifft John Malkovich, den Clown und erzählt ihm von der Schwertschluckerin. Der Clown ist eifersüchtig, denn die Schwertschluckerin ist seine Frau. Nun irrt auch der Clown suchend durch die Gassen, wohin Mia Farrow vor ihm geflohen war, denn er war fremdgegangen, mit Madonna, der Seiltänzerin. Nichts ist beruhigender, als in dieser Nacht Bekannte zu treffen: Das Gesicht von Jodie Foster, die Mädchengestalt von Mia Farrow, die Stimme von John Malkovich oder Madonnas Selbstbewußtsein. Woody Allen stellt das Starprinzip in den Dienst des Zuschauers — Lichtblick in der Finsternis.

Die Sterne, sagt die Schwertschluckerin zu Kleinman, können schon vor Jahrmillionen erloschen sein, aber sie leuchten uns immer noch. Kleinman hört das nicht gern: „Wenn ich etwas sehe, soll es auch da sein“, erwidert er, „sonst bricht man sich den Hals, wenn man sich hinsetzt.“ Das macht die Komik in Allens Kino so rührend: Es beharrt nicht nur auf der Illusion, sondern besteht immer zugleich auf der Macht des Realen. Als Kleinman alias Allen den Arzt besucht, der die erwürgten Opfer obduziert, zieht der gerade sein Operationsbesteck aus einer Leiche und hält eine Innerei ans Licht. Kleinman: „Das nächstemal werde ich im Restaurant kein Kalbsbries bestellen.“ Dem Angesicht des Todes begegnet er mit vitalem Ekel.

Das Ende ist Zirkus. Was der Bürgewehr mißlingt, vermag nur der Zauberer. Die Verfolgungsjagd endet im Spiegelkabinett, ein Zaubertrick schließlich legt den Mörder in Ketten. Aber Schatten kann man nicht fesseln, schon im nächsten Moment ist der Mörder geflohen. Die Gedanken sind frei, und sei es das Böse. Aber man kann ihm, im Zirkus der Illusionen, Grimassen schneiden. Das ist nicht viel, aber es ist ein Trost. Vielleicht der einzige, der ohne die Lüge auskommt. Kleinman jedenfalls kehrt nicht ins Büro zurück. Er assistiert jetzt dem Zauberer.

Woody Allen: Schatten und Nebel, mit Woody Allen, Mia Farrow, Kathy Bates, John Cusack, Jodie Foster, Madonna, John Malkovich, Lily Tomlin, USA 1991, 85 Min.

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