: Neue Belege für die RAF als „5. Kolonne“?
■ Die „RAF-Stasi-Connection“ aus dem Hause Rowohlt/Berlin glänzt durch Ungereimtheiten: Inge Vietts angeblicher Stasi-Deckname „Maria“ war im Westen längst bekannt — die angebliche Verbindungsfrau zwischen Stasi, RAF und BND, Monika Haas, erwirkte ein Gerichtsurteil gegen den Verlag
Mitte Januar schrammte die 'Bild‘- Zeitung nur knapp an einer auflagenträchtigen Schlagzeile vorbei. „Ließ die Stasi Schleyer entführen?“ wollte eine Vertreterin des Berliner Schwarzfunks 100,6 von den Autoren des Rowohlt-Buches Die RAF- Stasi-Connection wissen und dachte damit nur konsequent zu Ende, was Michael Müller und Andreas Kanonenberg ihren Lesern nahelegen. Soweit wollten die beiden denn doch nicht gehen: Nicht die Schleyer-Entführung, aber immerhin den Anschlag auf US-General Kroesen hätte die Stasi mit zu verantworten. Der eigentliche Clou ihrer Recherchen aber soll ein ganz anderer sein. In dem als Schnellschuß auf die journalistische Sensation hin geschriebenen Buch glauben die beiden Autoren beweisen zu können, daß die Stasi spätestens seit 1979 die RAF für ihre Interessen einsetzte. Möglich sei dies gewesen, weil Inge Viett, Gründungsmitglied der „Bewegung 2. Juni“ und ab 1979 Mitglied der RAF, in Wahrheit das „Trojanische Pferd“ des MfS in der westdeutschen Guerilla-Szene gewesen sei.
Das Buch der beiden Investigativ- Journalisten, die von Haus aus zum WDR-Fernsehen gehören, liegt bislang nur in limitierter Auflage vor. Denn die zweite Schlüsselfigur des Buches, die sogenannte „schöne Frau“, hat vor dem Landgericht Berlin eine einstweilige Anordnung gegen die weitere Auslieferung des Buches erwirkt, da sie in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sei. Vor Gericht konnten die Autoren dann doch nicht beweisen, daß die Frau mit dem bürgerlichen Namen Monika Haas mindestens indirekt dafür gesorgt haben soll, daß der BND schon seit Anfang der 80er Jahre über das Innenleben der RAF bestens unterrichtet war — beispielsweise wußte, daß sich acht RAF-Aussteiger in den SED-Staat abgesetzt hatten. Seitdem liegt das Buch in der Auslieferung fest.
Trotz des Auslieferungsstopps ihres Werkes glauben die Autoren nach wie vor, die Geschichte der RAF in weiten Teilen neu beschreiben zu können. Die Rote Armee Fraktion, so ihre These, sei über Jahre von der Stasi instrumentalisiert worden, war zumindest von 1979 an das, was überzeugte Kalte Krieger schon immer wußten: eine fünfte Kolonne Moskaus. Geheimwaffe der Stasi, die die RAF letztlich in die Fänge Ost-Berlins getrieben habe, sei eben jene Inge Viett gewesen, die zur Zeit in Koblenz vor Gericht steht und eigentlich gar nicht zur RAF gehörte. Aufgrund der Aussagen der ehemaligen RAF-Mitglieder, die sich Anfang der 80er in die DDR absetzten, und weiterer eigener Recherchen glauben die Autoren des Buches beweisen zu können, daß die Mitgründerin der anarchistischen Stadtguerilla 2. Juni bereits Mitte der 70er Informelle Mitarbeiterin der Staatssicherheit war und später im Auftrag der Stasi die Fusion 2. Juni-RAF betrieben habe. Hauptzweck dieser Fusion, die ja tatsächlich stattgefunden hat, sei es gewesen, die aktiven westdeutschen Terroristen an die kurze Leine der Stasi zu legen.
Als Beweise für diese Theorie führen die Autoren drei Belege an: einen Artikel aus der 'Welt‘, einen Kassiber der RAF und Aussagen im Prozeß gegen Inge Viett.
Der 'Welt‘-Artikel erschien 1976, anläßlich der Flucht Inge Vietts aus dem Berliner Frauengefängnis Lehrter Straße. In dem Artikel wird ihr Deckname „Maria“ erwähnt. „Eine geradezu sensationelle Information“, so die Buchautoren, „wenn man die Hintergründe kennt.“ Der Hintergrund ist angeblich, daß Inge Viett weder im 2. Juni noch später in der RAF oder sonstwo in westlichen Terrorzusammenhängen den Decknamen „Maria“ geführt hat. Dies sei ihr exklusiver Tarnname bei der Stasi gewesen. Die 'Welt‘-Information stammte angeblich von einem ehemaligen CIA- und BND-Agenten, der im Osten aufgeflogen und später freigekauft worden sei. „Er belegte Inge Viett bereits Mitte der siebziger jahre mit dem Decknamen Maria“, so Müller/Kanonenberg. Die einzig logische Erklärung dafür sei, daß „Inge Viett bereits Mitte der siebziger Jahre Kontakte zur Stasi hatte“. „1978 [dem Jahr, in dem Inge Viett nach eigenen Aussagen erstmals Kontakt zur Stasi hatte d. R.] scheint lediglich das Jahr gewesen zu sein, in dem die Stasi- Kontakte der Inge Viett ihre vermeintlich zufällige Legendierung erhielten. Eine Legendierung, die nur dazu diente, ihre Stasi-Beziehungen gegenüber den Genossen vom 2. Juni und der RAF glaubwürdig zu machen“, vermuten nun die beiden Enthüller.
Tatsächlich ist doch alles viel einfacher. Inge Viett taucht in der 'Welt‘ unter dem Decknamen „Maria“ auf, weil unter diesem Decknamen nach ihr gefahndet wurde. Entgegen den Annahmen der Buchautoren war ihre Tarnung im 2. Juni „Maria“ und nicht „Zora“, was den westdeutschen Sicherheitsbehörden im übrigen bestens bekannt war. Der taz liegt ein Vermerk des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz vom 4. Juni 1974 vor, in dem unter „VS-Vertraulich“ die „Anarchistin Viett, Inge, Tarnname Maria“ neben anderen mutmaßlichen Mitgliedern des 2. Juni aufgeführt wird. Möglich, daß die Stasi den Tarnnamen Inge Vietts ebenfalls kannte (es gab ja genug Löcher beim Verfassungsschutz), aber jedenfalls nicht deshalb, weil „Maria“ ihre Erfindung war.
Bleibt die Frage, wie und wann Inge Viett dann Kontakt zur Stasi bekam. Der spätere Stasi-Agent und damalige 2.Juni-Genosse von Inge Viett, Till Meyer, erzählt die Geschichte etwas anders, als sie bislang öffentlich bekannt ist. Danach kam es erstmals im Zuge der Vorbereitungen zu seiner Befreiung am 27. Mai 1978 zu einem unfreiwilligen Gespräch zwischen Mitgliedern des 2. Juni und der Stasi. Beim Grenzübertritt von der CSSR in die DDR sei das 2.Juni-Kommando aufgeflogen und anschließend von Stasi-Leuten ausgiebig in einem „Gästehaus“ in Dresden befragt worden. Nach drei Tagen intensiver Diskussion, nach der die 2.Juni-Leute den Eindruck hatten, die Stasi billige zwar „ihre Politik nicht“, würde sie aber auch in Zukunft nicht an die BRD ausliefern, konnten sie weiterziehen. Für das Kommando war nach den Gesprächen klar, daß die Stasi sie an erneuten Durchreisen durch die DDR nicht hindern würde. An diesem Small talk war Inge Viett angeblich nicht beteiligt. Sie trat erst auf den Stasi-Plan, als das 2.Juni-Kommando, unmittelbar nachdem sie Till Meyer aus der U-Haftanstalt in Moabit herausgeholt hatten, an der Sektorengrenze Invalidenstraße auftauchte. Vor ihrer Weiterfahrt nach Bulgarien wurde Inge Viett von Stasi-Offizieren der Abteilung XXII (Antiterror) eine gute Stunde befragt und erhielt anschließend eine Telefonnummer für „Notfälle“. Dies war laut Till Meyer der erste Stasi-Kontakt der späteren „IM“ Inge Viett.
Da für Müller/Kanonenberg „Maria“ aber schon seit Mitte der siebziger Jahre bei der Firma war, suchten sie nach weiteren Beweisen zur Überführung des Trojanischen Pferdes. Als Kronzeugin führen sie RAF-Mitglied Sieglinde Hofmann an. Hofmann war im Mai 1980 zusammen mit vier aussteigewilligen 2.Juni-Frauen in einer Wohnung in Paris verhaftet worden, die Inge Viett angemietet hatte. Kurz nach ihrer Verhaftung schrieb Sieglinde Hofmann einen Kassiber an ihre Genossen, der nun belegen soll, daß sie die RAF-Frau Inge Viett ebenfalls für eine Verräterin hielt. Laut Rowohlt stand in dem Kassiber:
„Gustav-Udo
Zora KL. Bruder-Fehler
Busch Amanda“
Entschlüsselt bedeutet dies angeblich eine Warnung vor Inge Viett, die bei der RAF unter dem Tarnnamen „Zora“ für den „kleinen Bruder“ — das ist im RAF-Jargon die DDR — arbeitet. Die Verbindung von Inge Viett zur DDR sei ein „Fehler“. Daß das Wort Fehler in dem Kassiber tatsächlich so gemeint ist, wie es dasteht, entnehmen die Autoren einer Aussage des Aussteigers Werner Lotze, der der Staatsanwaltschaft zu dem Kassiber zu Protokoll gibt: „Den Begriff ,Fehler‘ fasse ich im Klartext auf.“ Susanne Albrecht, ebenfalls RAF-Aussteigerin mit früherem Wohnsitz DDR, erinnert sich dagegen ganz anders. In ihrer Aussage berichtet sie, daß in der RAF-internen Diskussion mit dem Begriff „Fehler“ oder den „Fehlern“ die „acht Personen gemeint waren, die später in die DDR ausgereist sind“.
Darüber hinaus zitieren die Autoren aus dem Kassiber nur, was ihnen in den Kram paßt. Im Original geht der Kassiber noch weiter, schrieb Sieglinde Hofmann noch:
schwarz RL.
So:
Bisher gibt es keine Interpretation für diese Passage, außer daß der Kassiber offenbar nicht zu Ende gebracht wurde und folglich zumindest über die Version Müllers/Kanonenbergs hinausgehen muß. Mit den Verhaftungen in Paris, zu denen der damalige Präsident des BKA, Horst Herold, eigens in die französische Hauptstadt geeilt sein soll, wollen die Autoren aber noch eine andere wichtige These neben der Stasi-Tätigkeit Inge Vietts belegen. Die Verhaftungen seien möglich geworden, weil deutsche Sicherheitsbehörden einen Tip aus dem Nahen Osten bekommen hätten. Verantwortlich dafür sei die „schöne Frau“, der Inge Viett, die mit ihr gut befreundet gewesen sein soll, von der Pariser Wohnung erzählt habe. Nun behauptet aber nicht nur Monika Haas in einer eidesstattlichen Erklärung vor Gericht, Inge Viett gar nicht zu kennen, sondern auch Inge Viett, die ja keinen Grund hätte, eine BND-Mitarbeiterin zu decken, sagt gegenüber ihrem Anwalt, es habe zwischen ihr und Monika Haas keinerlei Verbindung gegeben.
Für das letzte Glied ihrer vermeintlichen Beweiskette zur Überführung der RAF als Stasi-gesteuert versuchen Müller/Kanonenberg Inge Viett selbst ins Feld zu führen. Die Behauptung, letztlich habe die Stasi über die Zeitpunkte der RAF- Anschläge entschieden, belegen die Autoren mit der Aussage Inge Vietts, die RAF sei in der DDR an der russischen Panzerfaust RPG 7 ausgebildet worden, und zwar vor dem Anschlag auf US-General Kroesen, der mit einer solchen Waffe verübt wurde. Die Stasi-Verantwortlichen behaupten dagegen, die Schießübungen hätten erst nach dem mißglückten Attentat stattgefunden — eine Zeitdifferenz, die für die Stasi-Leute den Unterschied zwischen Beihilfe zum Mord oder lediglich der sowieso verjährten Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ausmacht. Tatsächlich hat Inge Viett vor Gericht immer auch darauf hingewiesen, daß die Stasi von der RAF natürlich nicht darüber aufgeklärt worden sei, zu welchem Zweck sie mit der Panzerfaust geübt hätten. Von der Attentatsplanung sei in Ost-Berlin selbstverständlich nichts bekannt gewesen.
Warum ist diese Episode wichtig? In der Beweisführung der Buchautoren hielt die Stasi die RAF 1980 von dem Kroesen-Attentat ab, weil dies die Wahlchancen Helmut Schmidts gegen Franz Josef Strauß gemindert hätte. Ein Jahr später, auf dem Höhepunkt der Nachrüstungsdebatte, sei der Anschlag dagegen opportun gewesen. Ob das Attentat allerdings der rigoros gewaltfreien Friedensbewegung genutzt hat, die die Stasi ja angeblich damit unterstützen wollte, darf füglich bezweifelt werden.
Was unter dem Strich von diesem Buch übrigbleibt, sind die in der Tat mehr als merkwürdigen Umstände, unter denen im Herbst 1982 die Verhaftung der aktiven RAF-Spitze vor sich ging. Hier mutmaßen die Autoren wohl zu Recht, daß zumindest die offizielle Version nicht stimmen kann. Angeblich sollen zwei ahnungslose Pilzsucher am 26. Oktober 82 in einem Wäldchen bei Frankfurt-Heusenstamm zufällig auf das RAF-Depot „Nummer 1“ gestoßen sein. Merkwürdig daran ist, daß es im Wald bei Heusenstamm so gut wie keine Pilze gibt und die angeblichen Pilzsucher gleich noch einen Meter tief gruben, um zu ihrem Abendbrot zu kommen. Mit einem Tag Verspätung melden sie ihren Fund der Polizei und verschwinden dann auf Nimmerwiedersehen. In dem Depot finden sich nicht nur Waffen, Bargeld, falsche Papiere etc., sondern, um das Glück des BKA vollständig zu machen, auch noch eine mäßig verschlüsselte Liste aller weiterer RAF- Depots. Der Code wird im BKA geknackt, und nun brauchten sich die Greifkommandos nur noch auf die Lauer legen. Es dauert zwar zwei Wochen, doch dafür ist der Erfolg um so größer. Erst Brigitte Mohnhaupt und Adelheid Schulz und dann auch noch Christian Klar gehen den Fahndern ins Netz. Ein Geschenk der Stasi an die Bundesregierung, meinen Müller/Kanonenberg, die im Jahr darauf der DDR über Franz Josef Strauß den ersten Milliardenkredit zukommen läßt. Selbst wenn dieser politische Zusammenhang reine Spekulation ist — die Pilzsucher können noch viel weniger überzeugen.
Gerd Rosenkranz/
Jürgen Gottschlich
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