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CKWs griffen Schering-Tanks an

■ Alternativer Geschäftsbericht über den Weddinger Chemie-Multi: Gifttanks rosteten durch, weil durch Abwasserleitungen Chlorkohlenwasserstoffe entwichen und sich in Salzsäure verwandelten

Wedding. Scherings Unternehmenspolitik ist nicht so gesundheits- und umweltfreundlich, wie der Konzern gern behauptet. Dies ist das Fazit des Buches Schering — Die Pille macht Macht, das gestern vom »Schering Aktions Netzwerk« vorgestellt wurde.

So zum Beispiel waren die unterirdischen Schering-Tanks, aus denen 1986 Ethylenchlorid, Methyl-Ethyl- Keton und Tolulol in den Boden ausgelaufen war, nicht von innen durchgerostet, wie bislang angenommen wurde. Mitautorin Josefa Wittenborg erläuterte, daß die Tanks vielmehr von Salzsäure angegriffen worden waren. Die Säure sei entstanden, weil das betriebseigene Abwassersystem undicht geworden sei und aus den Rohren Chlorkohlenwasserstoffe (CKW) entweichen konnten. Zusammen mit Wasser bildete das Lösungsmittel die Salzsäure.

Allein 1986 »entsorgte« das Unternehmen 428 Tonnen chlorierter und unchlorierter Lösungsmittel durch die unterirdischen Leitungen. Wittenborg bemängelt, daß die Umweltverwaltung keine Auskünfte über die Ausweitung der Schadstofffahne im Grundwasser gebe.

In dem Buch wird auch auf andere Umwelt- und Gesundheitsgefährdungen, auf weltweite Verflechtungen sowie auf die Arbeitsverhältnisse in Japan, Peru und der Türkei eingegangen. Die Pharmazeutin Beate Jungmann zeigt den fragwürdigen Umgang mit Medikamenten am »Femovan-Skandal« auf. Schering brachte die Anti-Baby-Pille 1987 als »supersanfte Mikropille« auf den Markt. Obwohl eine 19jährige Engländerin, die die Pille geschluckt hatte, an einer Venenthrombose mit nachfolgender Lungenembolie starb und weitere »Verdachtsfälle« auftraten, habe der Konzern das Medikament nicht wieder vom Markt genommen.

Der Chemie-Student Ralf Störmer berichtet davon, daß der Medikamenten-Multi in seiner privaten Müllverbrennungsanlage in Bergkamen auch radioaktive Abfälle verbrenne. Der Nuklear-Müll komme aus dem Wedding, und werde zum Teil auch an das Hahn-Meitner-Institut geliefert. Was in Bergkamen verbrannt werde, sei, abgesehen von Tritium und Kohlenstoff-14, bis heute nicht veröffentlicht.

Gert Wlasich, Schering-Pressesprecher, bestätigte der taz auf Anfrage, daß in Bergkamen 1981 Tritium mit einer Strahlung von 2,65 Gigabecquerel sowie Kohlenstoff-14 mit einer Strahlung von 0,37 Gigabecquerel verbrannt worden sei. Der Grundwasserschaden im Wedding werde saniert, das Abwassernetz sei repariert, und inzwischen werde ein Großteil der Lösungsmittel recycelt, so daß in diesem Jahr nur noch 6,2 Tonnen in den Abfluß gingen. Dirk Wildt

Schering — Die Pille macht Macht , Schmetterlings-Verlag, 22,80 DM

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