piwik no script img

Deutschland in der Schuldenkrise

1953 wurde der Bundesrepublik ein Teil der Auslandsschulden erlassen/ Denkansätze für die Lösung heutiger Schuldenkrisen/ Enthüllungen aber fehlen im Buch des Ex-Deutschbankers Abs  ■ Von Hermannus Pfeiffer

Die Liquidierung der Deutschen Bank und den Ausschluß ihrer Führungskräfte von allen „wichtigen oder verantwortlichen Positionen im wirtschaftlichen und politischen Leben“ empfahl die Finanzabteilung der US-Militärregierung für Deutschland 1947 nach Abschluß ihrer Ermittlungen über die Rolle des Kreditinstitus im Faschismus. Bekanntlich überlebte die Bank, wuchs und gedieh unter ihrem langjährigen Vorstand Hermann-Josef Abs, der heute 90 Jahre alt ist und aus diesem Anlaß ein Buch veröffentlichte.

Weniger bekanntlich setzten sich ebenso erfolgreich ihre Aktivisten an die Spitze wirtschaftspolitischer Institutionen, wenn es in der Bundesrepublik kriselte: so bei der von Abs entworfenen Kreditanstalt für Wiederaufbau, die als Verwalterin der Marshall-Plan-Gelder für eben diesen Wiederaufbau verantwortlich war; so bei der Bundesbank, als es galt, der Wirtschaftspolitik der sozial-liberalen Brandt-Scheel-Regierung geldpolitische Grenzen zu setzen; so abgeschwächt bei der Treuhand, als die Früchte des Sieges unter den Freunden zu verteilen waren. In diese Reihe gehört auch ein Stück vergessener Geschichte, das Londoner Schuldenabkommen von 1953 — und erneut der Bankier Abs, der 1938 als 36jähriger in den Vorstand der Deutschen Bank berufen worden war.

Anfang der fünfziger Jahre gab es für die westdeutsche Wirtschaft ein zentrales politisches und ökonomisches Problem, der internationale Kredit war verspielt. Solange keine Regelung der deutschen Altschulden mit den wichtigsten der 65 Gläubigerstaaten getroffen war, hing der Außenhandel und damit der gesamte Wiederaufbau in der Luft. Ware gab es bestenfalls gegen Bares. Da halfen weder die von Großbritannien und den USA in ihre Besatzungszonen geschossenen Hilfeleistungen, ihr faktischer Verzicht auf Reparationen, noch der Marshallplan.

Vor diesem Hintergrund fand die Londoner Schuldenkonferenz statt. Die westdeutsche Delegation leitete Abs und fällte Entscheidungen. Anläßlich seines 90. Geburtstages hielt es der Jubiliar für unerläßlich, für seinen Bericht über die Konferenz und ihre Vor- und Nachgeschichte diesen Titel zu wählen.

Im zähen Verhandlungsmarathon seit dem Sommer 1951 regelten sich die privaten und öffentlichen deutschen Vorkriegs-Auslandsschulden sowie die Verpflichtungen aus der Nachkriegs-Wirtschaftshilfe der Westalliierten. Wenngleich nicht anerkannt, war die DDR doch für einen Abschlag gut. Von den Altschulden wurde eine „Schattenquote“ entsprechend dem territorialen Anteil der „Ost-Zone“ abgezogen, der nach der „Wiedervereinigung“ fällig würde — ein Aspekt, der zur allgemeinen Überraschung später noch Bedeutung erlangte. Die Zinsrückstände wurden teilweise gestrichen, der Rest kapitalisiert. Zinseszinsen wurden nicht berechnet. Es verblieben rund 13 Milliarden D-Mark Gesamtverpflichtungen. Schulden konnten im Ergebnis der Londoner Konferenz in D-Mark zurückgezahlt werden und sanken infolge der späteren D-Mark-Aufwertungen um rund 1,4 Milliarden. Neben diesem Forderungsverzicht der ausländischen, vornehmlich öffentlichen Gläubiger bestand der Kern des Schuldenabkommens in der Festsetzung von allgemeinen Zahlungszielen, die sich an der prognostizierten — und von der Wirklichkeit weit übertroffenen — Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik orientierten.

Alles in allem bietet das Londoner Schuldenabkommen, übrigens ebenso wie seine Vorläufer nach dem Ersten Weltkrieg, einen Denkansatz für die Lösung der heutigen Schuldenprobleme, der zweiten, dritten und vierten Welt. Solchen Einsichten verschließt sich Abs. In den Blick des minutiösen, aber an der Oberfläche haftenden Berichts gerät ebenso wenig die genaue Rolle des Verfassers wie manches konkrete Ergebnis der Verhandlungen irgendwo im Vorfeld der 380 Seiten verschwindet. Über solche Merkwürdigkeiten der inneren Systematik kann auch der umfängliche wissenschaftliche Apparat des Buches nicht hinwegtrösten. So viel steht fest, Abs gelang es, gegen politischen Widerstand auch im Inland, ein Schuldenabkommen durchzusetzen, welches zudem rückblickend preiswert ausfiel, und bahnte damit dem deutschen Phoenix den Weg.

Zuerst stand die Tilgung moralischer Schuld an

Er zeigte damit mehr Weitblick in gemeinsamer Sache als manch nörgelnder Industrieboß, der sich zur Strafe heute von Abs zitieren lassen darf. Zudem hatten die Banken, und die Deutsche vertrat Abs allezeit, als Schuldner und als zentraler Makler im Kreditgeschäft wie in der Außenhandelsfinanzierung ein sehr unmittelbares Interesse an einer vor allem baldigen Regelung. Vor der kommerziellen mußte die „moralische Schuld“ getilgt werden. Hierzu war parallel zur Londoner Konferenz ein Abkommen mit Israel notwendig, zur „Wiedergutmachung (sic!) für das den Juden unter dem NS-Regime Angetane“ — alles hat seinen Preis in der Welt der Abse.

Die Wahl des entpersonalisierten Stils sollte nicht dem Ghostwriter angelastet werden. „Ich weiß zuviel“, drohte der Ehrenvorsitzende der Deutschen Bank im Interview, um sogleich zu beruhigen, Memoiren werde er nicht schreiben (lassen), „da müßten viele Leute vom gedachten oder wirklichen geplanten Denkmalsockel heruntersteigen“.

Die Atmosphäre der Schlußsitzung der Londoner Konferenz empfand der schnauzbärtige Bankier „etwa so wie in der Schule zu Beginn der Sommerferien“, womit er uns nicht die vollkommene Leere des Saales anzeigen will, sondern die ausgelassene Stimmung der Tafelrunde. Immerhin hatten sich beide Seiten „jeweils teilweise durchgesetzt“. Den meisten Profit aus dem Abkommen erzielte allerdings die westdeutsche Wirtschaft, sie wurde international kreditwürdig, die D- Mark bald frei tauschbar und politisch war der Grundstein zur Wiedererlangung der deutschen Souveränität gelegt. Das alles ebnete dem westdeutschen Teilstaat den Weg in die Prosperität.

Und letztlich, hier mag auch ich Abs nicht widersprechen, ohne den starken Sog hiesiger Konsumidyllen würde die „Wiedervereinigung“ noch nicht hinter uns liegen.

Hermann Josef Abs: Entscheidungen. v. Hase & Koehler Verlag, Mainz 1991, 380 Seiten, Fotos und Dokumente, 68 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen