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„Wo ist hier die Finanzkrise?“

■ Rot-grüne Koalition in der Finanzdiskussion / Strukturprojekte sollen weiter finanziert werden

„Eine wirkliche Finanzkrise gibt es nicht in Niedersachsen“, sagt die Vorsitzende der grünen Landtagsfraktion, Thea Dückert. Für sie haben die Bonner Steuerbeschlüsse, die dem Landeshaushalt in den Jahren 1992-94 mit Mindereinahmen von insgesamt 2,2 Milliarden bescheren werden, nur eine „schwierige, aber durchaus lösbare Situation“ geschaffen. Den Erlaß, mit der Staatsekretär im Finanzministerium Ende vergangener Woche für den gesamten Landesdienst mit Ausnahme der Krankenhäuser einen totalen Einstellungs- und Beförderungstopp verkündete, hält die Chefin der Landtagsgrünen für „total überflüssig“.

Der Finanzstaatssekretär Peter Neuber steht auf der einen, die Landtagsgrünen auf der anderen Seite und dazwischen der Ministerpräsident Gerhard Schröder, der den Erlaß eine „pflichtgemäße Reaktion“ nennt, bei der er sich aber „etwas weniger Rasenmähermethode gewünscht“ hätte.

Bei allem Wettern gegen die aus Bonn verordneten Einnahmeeinbußen — Schröder, wie auch Dückert, betonen immer wieder, die rot-grünen Reformprojekte seien nicht betroffen von Einsparungen, und damit sind in der Koalition vor allem die zugesagten und für die Schulen bitter notwendigen Leherereinstellungszahlen und das geplante niedersächsische Kindertagesstättengesetz gemeint. Man habe sich intern in der Finanzplanung eben auch auf den „worst case“, zu deutsch den schlechtesten Fall, eingestellt, sagte der Ministerpräsident.

Schröder und seine Regierung haben sich aber keineswegs nur in der eingenen Argumentatation gegen das Bonner Steuerpaket verfangen. Die Regierung streitet letztlich darum, auf welcher Ebene denn nun der Rotstift angesetzt werden soll. Schon am Mittwoch im eigens einberufenen Koalitionsauschuß wurde der Neuber-Erlaß dahingehend uminterpretiert, daß er seinem Wortlaut nach geplante Neueinstellungen nicht verbiete. Nicht gelten soll der Stellenstop außerdem für die Breiche Schule, Polizei Altenpflege, Gewerbeaufsicht und alle unteren Dientsränge. Diese und noch weitere Ausnahmen will das Kabinett am Dienstag förmlich beschließen. Im laufenden Haushaltsjahr, so sagte Schröder nach der Auschußsitzung, wolle man die Einahmeverluste vor allem durch im verganenen Jahr erwirtschaftete Überschüsse ausgleichen. Beim Haushalt '93 sollen dann alle Ressorts um ein Prozent unter der Finanzplanung bleiben.

Richtig sparen will das Land nach alledem nur dort, wo der Bund eben auch einschneidend gekürzt hat: Bei den 1500 Projekten in den Kommunen, in die Strukturhilfemittel geflossen sind oder fließen sollten. Für Schröder ist es jetzt das „Hauptproblem, den Kommunen zu erklären, warum das Land das höchstens partiell ersetzen kann, was der Bund an Mitteln gestrichen hat.“ Der Ministerpräsident wird dabei natürlich nicht müde zu erklären, daß gerade die niedersächsischen Bundestagsabgeordneten von CDU und FDP für das Ende der Struktuhilfe gestimmt haben. Daß wirklich sämtliche Strukturhilfeprojekte, die bekanntlich von Hafenbauten über Umweltprojekte bis zur neuen Tiefgarage reichen, jetzt zur Disposition stehen, betont auch die Grüne Dückert. Ausnahme: der Hafen Cuxhaven.

Den Stellenstopp interpretiert sie denn auch als eine Operation, durch die Landesmittel zungunsten der kommunalen Projekte freigemacht werden sollten. „Der Erlaß zielte darauf ab“, so sagt Dückert, „große Teile der Bundesmittel für die Strukturhilfeprojekte durch Landesmittel zu ersetzen.“ Jürgen Voges

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