: Bosnien stimmt über die Unabhängigkeit ab
In der Vielvölkerrepublik Bosnien-Herzegowina finden Serben, Muslimanen und Kroaten keinen gemeinsamen Nenner mehr/ Die Serben der Republik haben gestern beschlossen, sich direkt den jugoslawischen Bundesbehörden zu unterstellen ■ Aus Bosnien Roland Hofwiler
„Kroatien ruft Euch!“ Das Plakat ist gleich mehrmals am Grenzhäuschen angebracht. Es zeigt zwei jugendliche Soldaten, schwerbewaffnet mit Handgranaten, mehreren Patronengürteln und einer Kalaschnikow. Die beiden Grenzsoldaten, die jeden Reisenden genau unter die Lupe nehmen, sehen ähnlich aus. Wüßte man nicht, daß hier in Samac des Nachts wirklich scharf geschossen wird, könnte man sich in eine Filmszene versetzt sehen.
Der Fluß trennt eine Welt: Kroatien und Bosnien mit seiner Grenzstadt Bosanski-Samac. Vor wenigen Monaten war es noch ein Doppelstädtchen, mit einer gemeinsamen Infrastruktur und der gemeinsamen Brücke über die Sava. Auf halbem Weg zwischen Zagreb und Belgrad luden die Kneipen Fernfahrer zum Essen ein. Heute ist die Brücke für Autos gesperrt. Die Grenzkontrollen sind streng und unfreundlich. Und ab sieben Uhr abends ist auch den alteingesessenen Bewohnern beider Seiten der Grenzübertritt verboten.
„An der Save geht die Sonne auf, über der Neretva nimmt sie ihren Lauf, und diesem Land bleib ich treu, Bosnien, meine Heimat, ich schütze dich Auge um Auge.“ So kitschig dröhnt es aus den Lautsprechern in einer Kneipe in Bosanski-Samac. Sead Sinanovic, ein Lehrer, zeigt sich zu später Stunde entschlossen: „Wir Bosniaken sind stolz auf unsere islamische Tradition, dies hier wird ein islamischer Staat.“
Der Lehrer spricht aus, was die Politiker in Sarajewo (noch) nicht laut zu sagen wagen. Einer, der vor dem islamischen Fundamentalismus warnt, ist der muslimische Politiker und Züricher Bankier Adil Zulfikarpasic, dessen „Muslimanische Bosniaken-Partei“ im Parlament von Sarajewo zwei Sitze innehat. Zulfikarpasic, der im Tito-Jugoslawien zusammen mit dem heutigen Präsidenten Bosniens, Alija Izetbegovic, mehrere Jahre hinter Gittern saß und danach ausgebürgert wurde, glaubt, daß sein ehemaliger Kampfgenosse in der Tat auf die islamische Staatenwelt setzt. Und er hält dies für einen Fehler. „Wir in Bosnien sind Europäer, sind Bürger eines bosnischen Staates und erst in zweiter Linie ist unsere nationale Herkunft als Kroaten, Serben oder Muslimanen von Bedeutung.“
Ist Zulfikarpasic einer der letzten Träumer? Die Realität sieht in der Tat anders aus: Die meisten Serben, die 31 Prozent der Beölkerung in Bosnien stellen, definieren sich heute allein serbisch, die meisten Kroaten (17 Prozent) kroatisch und die meisten der zwei Millionen Muslimanen (43 Prozent der 4,4 Millionen Einwohner) sind dem grünen Halbmond treu. Auch wenn viele Städter im Lande sich bei der letzten Volkszählung als „Jugoslawen“ bezeichnet haben ( 5,5 Prozent), ist das multikulturelle Flair Bosnien- Herzegowinas in großen Landesteilen geschwunden. Die großen Religionsgemeinschaften, Orthodoxie, Islam und Katholizismus, haben auch keine Brücken bauen können. Der nationalistische Zug scheint abgefahren.
Sollte das Referendum, das am Sonntag abgehalten wird, nach dem Willen der (muslimanischen) Staatsführung die gemeinsame bosniakische Staatsidee begründen helfen, so steht heute außer Frage, daß die Abstimmung die Gräben zwischen den Nationen nur vertiefen wird.
„Eine Mehrheit wird klar für die staatliche Unabhängigkeit stimmen“, glaubt der Schriftsteller Abdullah Sidran vorhersagen zu können, „doch jede Seite wird darunter etwas ganz anderes verstehen.“ Die Muslimanen wollen ein islamisch geprägtes Bosnien erhalten. Nur so könnte ein Krieg verhindert werden. Die Serben dagegen wollen an der Abstimmung gar nicht teilnehmen, weil sie Teile dieses unabhängigen Staates einer künftigen Republik Serbien einverleiben wollen. Schon gestern beschlossen die serbischen Repräsentanten, den bosnischen Staat nicht mehr anzuerkennen. Nicht wenige Kroaten versuchen ihrerseits, Bosnien als Teil eines vergrößerten Kroatiens zu betrachten. Sidran: „Doch alle leben mit dem Gefühl der Angst.“
Von einer Koalition zum drohenden Krieg
Als im Oktober 1989 der Kroate Stjepan Kljuic, der Serbe Radovan Karadzic und der Muslimane Alija Izetbegovic, alle drei Vorsitzende nationaler Parteien, gemeinsam antraten, um das „politische Monopol der Kommunisten zu brechen“, demonstrierten sie noch Einigkeit. Und in der Tat gelang es ihnen im Jahr darauf, die für Jahrzehnte alleinregierenden Kommunisten in die Opposition zu drängen und eine tragfähig „Dreier-Koalition“ aufzubauen. Eine Verfassung wurde verabschiedet, in der alle drei Nationen als verfassunggebend definiert wurden. Im Klartext: gegen den Willen einer Nation durften die anderen nichts entscheiden.
Keine der drei nationalen Parteien gab sich aber damit zufrieden. Schon bald begannen die Konflikte. Die Serben zogen gegen Jahresende aus dem Parlament, weil Kroaten und Muslimanen zusammen für die Unabhängigkeit der Republik eintraten und die Anerkennung durch die EG zu erlangen suchten. Andererseits gab es schon während des Krieges zwischen Serbien und Kroatien Geheimgespräche zwischen dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman und seinem serbischen Amtskollegen Slobodan Milosevic um die Aufteilung Bosniens.
Dies wiederum rief die Muslimanen auf den Plan, die ihrerseits nun propagieren, Bosnien müsse ein Staat der slawisierten Moslems werden. Auch wenn das Oberhaupt der islamischen Gemeinschaft in Jugoslawien, Reis-ul-ulema Hadji Jakub Effendi Selimoski in zahlreichen Interviews mit ausländischen Journalisten erklärt, die „Moslems stellen nicht die Mehrheit der Bevölkerung und schon deshalb können sie nicht versuchen, einen islamischen Staat auszurufen“, sind Zweifel angebracht. Die Wochenzeitungen der ' Islamischen Gemeinschaft, die 'Muslimanski glas‘ und die 'Preporod‘, sprechen eine andere Sprache. Da wird zur Unterstützung der algerischen Fundamentalisten aufgerufen und die eigene Vergangenheit verklärt. Aus der SS-Division Handschar, im Zweiten Weltkrieg Hitlers Verbündete, wurden plötzlich „Schützer der bosnischen Heimaterde“.
Auch die Muslimanen sind bewaffnet. „Gerade weil sich jeder bewaffnet, ist noch kein Krieg ausgebrochen, denn wer sollte da gewinnen“, ist die Begündung. Doch wie es weitergehen wird, weiß niemand. Und Abdullah Sidran, der Schriftsteller aus Sarajewo: „Wir können nur voller Angst abwarten, was die Tage nach dem Referendum bringen werden.“
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