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„Endlich widder jeck“

Düsseldorf (taz) — Noch zwei Tage, dann ist Aschermittwoch in Düsseldorf und Umgebung. Für manche sind es normale Tage wie immer, für die Normalen allerdings die Chance zum großen Coming out mit Showdown am Rosenmontag. Die Chance für den eh schon bierseligen Rheinländer, am Altbierausschank zeitlich begrenzte Freundschaften zu schließen. Denn bekanntlich ist Aschermittwoch ja alles vorbei.

Für die ansonsten gern mit Glanz und Glimmer einlullende NRW-Metropole ist dies unter anderem also auch die Zeit, in der ehrenwerte Unpersönlichkeiten ihrem Nachholbedarf in Sachen Selbstdarstellung frönen. Meist jedoch im Negativen.

Unter Mißachtung des deutschen Dudens hagelt es nun seit Donnerstag in der Lokalpresse artikelweise Dialektvokabular, das allenfalls noch Sachkundige der romanischen Sprachen dekodieren können. So nennen sich also am traditionellen Altweiberdonnerstag wildgewordene Dienstangestellte, die mit der Schere auf Krawattenjagd sind, „Möhne“, was hochdeutsch übersetzt und optisch mit „aufgetakelte Alte“ nur bestätigt werden kann.

Einigermaßen sicher ist man dieser Tage noch außerhalb der Altstadt. Kein Brötchen- und Zeitungsverkäufer im Kiez, der sich getreu dem diesjährigen Motto „Endlich widder jeck“ mit schiefem Hütchen am ausgeleierten Gummiband Umsatzbußen einhandeln will. In der Altstadt jedoch ist die langsam konservativ anmutende Faschingsaufmachung noch lange nicht ausgereizt: Ein paar Matrosenkäppis unproportional groß zum dazugehörenden Bierbauch, speckige Clownsgesichter und Schnapsnasen verhüllende Pappnasen-Aufsetzer prägen am Donnerstag abend — für Düsseldorf sonst unüblich — die mit Müll gepflasterten Gassen. Haßkappen haben hier jedenfalls keine Chance. Gut drauf ist, wer Alt trinkt und Schnaps kippt, und so manche nach zig Ehejahren erloschene Leidenschaft erwacht nach kontinuierlichem Konsum in mehr oder weniger erleuchteten Türnischen bei üppigem Gefummel ohne Rücksicht auf Zuschauer. Aber Karneval ist ja auch die Zeit des legalen Seitensprungs. Es muß also nicht unbedingt der Vertragspartner sein. Kein Wunder also, wenn in der Bürokantine spontan entstandene männliche Interessengemeinschaften eher das Straßenbild prägen denn die weiblichen Pendant- Pulks.

Samstag nachmittag dann ungewohnt verhaltene Atmosphäre trotz legitimierten Ausflippens. Ob es nun an der 4:1-Niederlage gegen Wattenscheid liegt, wg. Bankerstreiks das nötige Kleingeld fehlt oder ob vielen der Führerscheinentzug der Vortage auf der Leber brennt, ist schwer einzuschätzen. Zwar knüppeln Zwangsstimmungsmacher aus überlasteten Kneipenboxen, doch ist das Schunkeltempo noch eher schleppend.

Doch Eingeweihte wissen: So richtig rund geht's ja erst am Rosenmontag, wenn Millionen Außenstehender die Möglichkeit haben, live vorm Fernseher 16 Tonnen Bonbons, 240.000 Popcornbeutel und anderes Wurfmaterial auf die Düsseldorfer Jecken niederprasseln zu sehen. Dann werden eventuell auch die zahlreichen Kostüme auf der Straße zu sehen sein, die schon seit Wochen über die Ladentische gehen. Glaubt man den Trendweisern, fliegen heute Batmans en masse mit Lufthansa um die Wette, und auch die Erlaubnis zum häufigen Fernsehen rächt sich an den Eltern, die für teure Ninja-Turtles-Kostüme wahrscheinlich mehr als nur den staatlichen Kindergeldzuschuß hinlegen müssen.

Die einzige gewerkschaftlich organisierte Gesellschaft, die mit ihren Mottowagen das ganze Jahr über Tournee in Deutschland macht, wird sich heute bedeckt unbedeckt halten müssen. Nach dem Verlust von 200 Uniformkappen vor zwei Jahren werden die 700 Bereitschaftspolizisten heute also betont leger die Massen im Zaume halten und die Schnapsleichen zügig beiseite räumen. Connie Kolb

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