Nippons Buddhisten im Spielfieber

Auch unseren Japan-Korrespondenten zieht es bisweilen — ein wenig — auf Abwege  ■ Aus Tokio Georg Blume

Pachinko ist ein anrüchiges Automatenspiel. Die Yakuza — japanische Version der Mafia — kontrollieren die meisten Spielhallen, heißt es. Und sie verdienen bei der Sache mehr als die hiesige Autoindustrie. Außerdem gibt es Pachinko nur in Japan, weshalb es sich für Touristen empfiehlt.

Eine Pachinko-Partie zählt zu den liebsten Freizeitvergnügen der JapanerInnen. Annäherend die Hälfte der japanischen Männer und immerhin 20 Prozent aller Frauen gehen Umfragen zufolge regelmäßig zum Pachinko. Wie das Spiel funktioniert, entdeckte der französische Soziologe Roland Barthes bereits vor mehr als zwanzig Jahren: „An der Kasse kauft man eine Anzahl Metallkugeln“, so Barthes, „vor dem Apparat (einer Art senkrechtstehender Tafel) führt man dann mit der Hand die Kugeln einzeln in eine Öffnung ein, während man mit der anderen einen Hebel betätigt und die Kugel damit durch ein System von Hindernissen schleudert. Wenn der Impuls richtig war (weder zu stark noch zu schwach), setzt die Kugel einen Reigen anderer Kugeln frei, die einem in die Hand fallen.“

Was Barthes beim Pachinko faszinierte, war die „kontrollierte Zufälligkeit“ des Spiels. Während beim westlichen Flipperspiel lange um die Kugel gekämpft werde, könnten die japanischen Spieler ihre Kugeln nur beim Abschuß steuern. Die Kunstfertigkeit beim Pachinko-Spiel vergleicht Barthes deshalb mit der sparsamen Technik japanischer Malerei, „die es will, daß der Strich in einer einzigen Bewegung ein für allemal gezogen wird“.

Beim Pachinko-Spiel genügt also eine einzige Kugel zum großen Wurf. Der gelang kürzlich einem Pariser Freund. Kaum hatten wir lächerliche 200 Yen in einen Automaten gesteckt und versuchten gerade die Abschußbewegung einzuüben, da platze der Pachinko-Segen über uns nieder: Sirenen ertönten, Flutlichter blitzten, ein Lautsprecher schrie: „Maschine 33 hat gerade Fieber bekommen.“ Zwei Abwaschschüsseln voller Silberkugeln schüttete der Automat vor uns aus. Spielerkollegen klopften uns auf die Schultern. Der Hallenwart sorgte für den Abtransport der kiloschweren Gewinnmasse.

Nach dem so unerwartet davongetragenen Sieg ließ sich der Sinn des Spiels neu interpretieren. Ging es also doch nur um Geld und Gewinn? Alle zuvor befragten Zeugen hatten gerade das entschieden zurückgewiesen.

„Pachinko-Hallen sind wie Parkanlagen in einer übervölkerten Gesellschaft“, hatte Hiroshi Takauchi, Manager der „Long-Term Credit Bank of Japan“ erklärt. Pachinko-Fan Takauchi hatte wohl die Einsamkeit gemeint, die Pachinko- Spieler genießen, wenn sie stundenlang zwischen Kugellärm und Popmusik unbehelligt vor ihren Automaten hocken. Auch Fosco Maraini, der italienische Japanologe, hatte hinter dem Pachinko-Spiel weit mehr als die treibende Kraft die Geldes vermutet: „Eine der grundlegenden buddhistischen Techniken besteht darin“, analysierte Maraini, „den eigenen Geist durch die endlose Wiederholung eines kurzen Satzes von allen Gedanken zu befreien. Darin liegt das versteckte Unterbewußtsein, das dem ungeheuren Erfolg des Pachinko-Spiels zugrunde liegt.“

Doch wer gewinnt, verzichtet gerne auf Erklärungen aus dem Unterbewußtsein. Die Silberkugeln in den Abwaschschüsseln wurden alsbald gezählt und gewogen: Annäherend 7.000 Kugeln, die knapp 17 Kilo auf die Waage brachten, hatte unser Automat hergegeben. Dafür gab's einen Gutschein, der sich im Hallen-Annex in Teddybär, Tabak oder Talismann einlösen ließ. Mein Pariser Freund freilich wählte den sauberen Gewinn aus der Kassenschublade: Er bekam reines Gold mit dem eingravierten Markenzeichen der größten Firma der Welt, Mitsubishi — wohlmöglich direkt aus der Hand der Yakuza. Das Gold ließ sich später eintauschen: Die Metallteile waren 200 Mark DM wert.