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DER TURBO-JARGON DER EIGENTLICHKEIT (II) Von Mathias Bröckers

Als Beispiel für die Verkommenheit des Geisteslebens wurde vor zwei Wochen an dieser Stelle unter anderem der Abstieg der fundamentalistischen Feministin Alice Schwarzer vom „Mösen-Ayatollah“ zur Rate-Tussi bei Was bin ich? zitiert. Die Reaktionen der Leser entzündeten sich aber nicht an der Fallhöhe — von der Speerspitze einer politischen Bewegung ins Werbefernsehen zu plumpsen, scheint offensichtlich ganz normal —, sondern ausschließlich an dem vulgären Ausdruck, mit dem ich Schwarzers einstmaligen „Dienstgrad“ belegt hatte. Und heute schon wieder: warum denn nicht „Abstieg von der kämpferischen Priesterin des Geschlechterkampfs zur moderaten Rate-Tante“? Statt zur „Tussi“ — muß denn das sein? Nun hat ja der Büchner-Preisträger Biermann gerade gezeigt, daß ein Kraftwort an der richtigen Stelle durchaus erkenntnisbeschleunigende Wirkung haben kann. Sowie daß noch immer einige Zeitgenossen ihre Gürtellinie als Halskrause tragen, das heißt die Sache zwar voll in Ordnung, das „Arschloch“ aber unmöglich finden. Ich muß gestehen, daß es mir da eher umgekehrt geht: Seit Anderson zum Paradigma gemacht wurde, steht absurderweise statt der Stasi-Generäle der kleine IM-Soldat im Mittelpunkt des Propaganda-Kriegs — das „Arschloch“ aber geht voll in Ordnung. Es ist ein vorbildhafter Ausbruch aus dem gestanzten Kammerton des Moderaten, dem windelweichen Gelalle, dem sachlichen Gefasel — wo's doch auch persönlich geht — der „Wir sitzen doch alle im selben Talk-Show- Boot“-Sprachhygiene des allgemeinen Nullsummengelabers. Und so was nennt sich dann „Streitkultur“ — im Mimosen-Biotop.

Seit ich unlängst die akute Asylduselei, mit der sich die teutonische Öffentlichkeit musikantenstadelweise in „Ausländer“ verwandelte, als „Bimbophilie“ kritisierte, zetern Kardinal Gremliza und Kaplan Tolmein in 'konkret‘ zum Beispiel nur noch über die „bimbophile tageszeitung“. Als ob sich dieses ganze Soli- Geschmus nicht als wohlfeiles Spektakel erwiesen hätte, für das „bimbophil“ durchaus die passende Beschimpfung darstellt. Aber nein, was irgendwie gut ist — Ausländerfreundlichkeit, Feminismus, Antifaschismus, Golfkrieg — darf nicht beschimpft werden, der Koran scheint geradwegs nichts gegenüber den Heiligtümern des katalysierten Turbo-Jargons. Und ohne damit nun eine Welle von „Briefen an Bröckers“ auslösen zu wollen — die Parallelen zwischen Teheran und einem Teil der taz-Leserschaft sind offensichtlich: „Die Wortschöpfungen für Alice Schwarzer“, so eine Leserin, „sind nur noch einen Schritt von der direkten Gewaltausübung entfernt.“ Ähnliches dürften die Mullahs bei Rushdies Wortschöpfungen für den Koran empfunden haben, als sie den Auftrag gaben, diesem „Schritt“ zuvorzukommen. Der natürlich keiner ist: Denn Wort ist Wort und eben nicht Mord und die verbale Auseinandersetzung bis hin zur bösartigen Beschimpfung die höchste Kulturleistung, die der domestizierte Primat bis dato erbracht hat — ohne dabei handgreiflich zu werden. Wenn das neuerdings wieder so erschreckend verbreitet ist, dann vielleicht auch deshalb, weil eine virtuelle Erledigung im öffentlichen Raum zunehmend unmöglich und jede Schmäh- und Schimpfkultur von der Sprachhygiene des Turbo-Jargons eliminiert wird. Da ist die Zote im Fernsehen fast schon wieder so revolutionär wie der Hessische Landbote — deshalb: Büchner-Preis für Karl Dall!

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