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"Was soll dabei herauskommen?"

■ betr.: "Was tötete Professor Riege?", "Differenzierung tut not", taz vom 22.2.92

betr.: „Was tötete Professor Riege?“ von Claus Christian Malzahn, „Differenzierung tut not“ von Wolgang Thierse,

taz vom 22.2.92

[...] Warum haben Thierse, von Weizsäcker und all die anderen mit ihren nebulösen Forderungen nach mehr „Differenziertheit“ immer das Schicksal, in den Geruch jener zu kommen, die den Deckel auf einen stinkenden Topf drücken wollen, während alle anderen, die nicht differenzierungswillig sind, offenbar außer hysterischer Vergangenheitsphobie nichts zustandebringen?

Mir scheint immer deutlicher die Wurzel der allgemeinen Hilflosigkeit, mit dem Erbe des verschwundenen, anderen deutschen Staates umzugehen, in einer eigentlich als solche anerkannten Torheit zu liegen: im Antikommunismus. Warum muß auch Thierse sich fast peinlich dafür entschuldigen, daß er kein Held oder Märtyrer war? Warum mußte sich Riege diese unsäglichen, freisleresken Anwürfe von der CDU/CSU- Bank anhören? Weil leider beide, der Thierse wie der Blank, es nicht für möglich halten, daß es moralisch anständig sein könnte, sich für kommunistische Ideale, selbst in einer dafür verdorbenen Umgebung DDR einzusetzen.

Jedes frühere Bemühen, aus der verratenen Alternative zur bürgerlichen Gesellschaft eine wirkliche Alternative zu machen, steht heute de facto als die Bundesrepublik noch im Nachhinein gefährdender, umstürzlerischer Versuch. Wer privaten Kapitalbesitz und freien Markt als notwendige Voraussetzung zur Gewährung von Demokratie und Freiheit ansieht (und darüber kann man durchaus ernsthaft diskutieren), verurteilt jeden, der die Abschaffung des Kapitalismus als Voraussetzung einer Freiheit für alle ansah, als Befürworter des Schnüffelstaates. Darf man aus der Blindheit der Idealisten eine Vorverurteilung machen?

Parallelen zum Nationalsozialismus hält dies, meine ich, in einem entscheidenden Punkt nicht stand: der faschistische „Idealist“ bekennt sich zur Erhebung einer, nämlich seiner, Elite über andere, der kommunistische Idealist ist Humanist — erst in der Politbürokratie (mit der übrigens gegenwärtig so gut wie keine Auseinandersetzung stattfindet) dienen die Losungen des kommunistischen Idealismus nur noch zur Fassade einer zombiehaften Mischung aus Monarchie und Bananenrepublik. Wenn es anerkannt würde, daß es einen moralisch integren Kommunismus gab, und die bittere Wahrheit seiner Verfechter ist dessen praktische Unmöglichkeit unter Menschen, gelänge es, überhaupt zu Kriterien moralisch fragwürdigen Verhaltens zu kommen, zu Fragen wie:

—habe ich, statt der Gleichachtung aller Menschen nachzustreben, Menschen herabgesetzt, diskreditiert, der, das wußte jeder aufrichtige Marxist, dekadenten, kommunistisch unreifen Politbürokratie und ihrem Apparat ausgeliefert?

—führte mein Zwang zum Kompromiß mit der unreifen Gesellschaft letztlich doch zur Preisgabe meiner Ideale, die doch letztlich mich den Kompromiß eingehen ließen, da ein kommunistischer Idealist insgesamt nicht am Untergang der DDR interessiert sein konnte?

—habe ich meine postulierten Ideale den idealwidrig existierenden Karrierezwängen der unreifen Gesellschaft geopfert?

Und Ausgangspunkte der Vergangenheitsdiskussion wären von Ost- wie Westdeutschen gleichermaßen zu setzen. Heute tun alle Seiten, als sei es unbegreiflich, daß jemand nicht dem sicheren 9.November 1989 entgegengefiebert hätte. Von der Bundesregierung bis zum letzten Ostler: unabhängig von Privatträumen mußten sie reale Verhältnisse gestalten, waren Umstürze nicht ins Auge zu fassen. Alle, bis zum letzten Mann, handelten gegen die heutige Realität! Die aus heutiger Sicht alte Verhältnisse stabilisierenden Verhaltensweisen aber können nicht auf dem Prüfstand stehen, denn es gab letztendlich für niemanden Alternativen. Auch Märtyrertum war keine Alternative, denn es bewegte nichts wirklich in Richtung Umwälzung. Auf dem Prüfstand können nur moralische Verfehlungen stehen, die zu einer Entfernung von positiven Entwicklungen geführt haben. Dies aber ist nicht aus Aktenlagen abzulesen, dies ist auch nicht rechtsrelevant, solange keine Tatbestände des Strafrechts nachgewiesen werden, was übrigens die Mehrzahl der politischen „Stasi-Skandale“ kennzeichnet. Daß menschliche Entwicklungen abgebrochen, durch Spitzelei und Denunzierung verelendeten, trifft als Vorwurf nicht nur die Täter, sondern auch jene, die die Täter möglich gemacht haben. Das eben sind alle, hoch bis zu damaligen Bundeskanzlern, die auch ein Mielke- Imperium mit kompromißbedachter Deutschlandpolitik ein Stückchen stabilisieren halfen, weil die damalige Realität eben nicht die heutige, Pragmatismus einziges Mittel des friedlichen Überdauerns des kalten Krieges war.

Daß ein kommunistischer Idealist Selbsttötung begeht, daß ein Volk sich an Geschichtchen empört, daß nicht zuletzt eine linke tageszeitung einmal ernsthaft glaubte, durch eine Namens- beziehungsweise Adressenliste Schuld zu kennzeichnen, zeigt, daß die Mehrzahl der Deutschen aus ihrer Vergangenheit ausgestiegen, jene suchen, die allein die Vergangenheit zu verantworten haben. Der Einfachheit halber hält man sich darin zuvörderst an jene, die sich an Ideale hielten, die nicht in die Gegenwart mündeten, in eine Gegenwart, die für viele gerade deshalb so „unideal“ ist. Was soll dabei herauskommen? Frank H.Müller, Potsdam

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