: Zuhälter machten „Bluterben des Reichs“ platt
Zwei Mannheimer Zuhälter sind des Mordes an Neonazi-Chef Rainer Sonntag in Dresden angeklagt/ Skins wüteten bitterlich ■ Aus Dresden Detlef Krell
Zwei Schüsse aus einer abgesägten Schrotflinte töteten in der Nacht zum 1.Juni 1991 den Dresdner Neonazi- Führer Rainer Sonntag. Der 36jährige war mit etwa 50 Anhängern vor einem Kino aufgezogen, um ein nahegelegenes Sex-Shopping-Center „plattzumachen“. Plötzlich hielt vor dem Trupp ein schwarzer Mercedes, und ein Mann sprang heraus. Sonntag ging mit erhobenen Händen auf ihn zu. Nach kurzem Wortwechsel fiel ein Schuß, der den Neonazi ins Gesicht traf. Sonntag starb blutüberströmt. Das Auto raste davon.
Vor dem 2.Strafsenat des Bezirksgerichts Dresden beginnt heute der Prozeß gegen die beiden mutmaßlichen Täter Ronny Matz (25) und Nikolas Simeonidis (24), die aus der Mannheimer Rotlichtszene nach Dresden gekommen waren und in das damals größte Dresdner Sex- Etablissement einstiegen. Den Finger am Abzug soll Simeonidis gehabt haben. Alles weitere ist offen, wie die Frage nach untergründigen Verbindungen zwischen der Zuhälterszene und den zum Kampf „gegen Puffs“ angetretenen Rechten.
Als Verteidiger haben sich für Ronny Matz der Bonner Anwalt Ernst Johann und der Heidelberger Karl-Heinz Schnell angesagt. Für Nikolas Simeonidis kommt der jüngst im ersten Mauerschützenprozeß aufgetretene Münchner Staranwalt Rolf Bossi nach Dresden. Bossi schließt nach bewährt aufsehenerregender Manier einen Freispruch nicht aus: Nicht Mord, sondern ein Unfall sei es gewesen. Simeonidis hatte lediglich aus Angst vor den provokativ auftretenden Rechtsradikalen mit der Waffe drohen wollen.
Der „kleine Ganove“ und Polizeispitzel Sonntag aus der DDR war 1986 in den Westen gekommen. Im hessischen Langen, einer damaligen Hochburg der bundesdeutschen Neonazis, kam er mit Michael Kühnen, Helmut Reisz und deren Gefolgsleuten zusammen. Im Frühjahr 1989 kandidierte er als Führer des rechtsextremistischen „Sonderkommandos Sicherheit“ für die hessischen Kommunalwahlen. Die Partei wurde aber vor den Wahlen verboten. Sonntag ging nach Dresden zurück, nachdem es wegen Geldsachen in seiner Parteiclique zum Bruch gekommen sein soll.
Sonntag erntete mit Zucht- und Ordnungsaktionen den unverhohlenen Beifall der Dresdener, z.B. als er mit seinen Trupps gegen jugoslawische Hütchenspieler zu Felde zog. Bei einer antifaschistischen Demonstration in Dresden zeigte er sich händeschüttelnd mit den Polizeibeamten vor. Gegenüber der Presse gab er sich gern als Typ „verständnisvoller Sozialarbeiter“, als „Auge, Ohr und Mund der Bevölkerung“. Vom Sex- Shopping-Center, zu dessen Sturm er schließlich geblasen hatte, soll er 50.000 Mark Schutzgeld verlangt haben.
Die Beisetzung des „Blutzeugen des Reiches“, Rainer Sonntag, geriet zum größten Aufmarsch von Neonazis in der Geschichte der Bundesrepublik. Ex-Parteifreund Reisz hielt die Grabrede. Sächsische Rechtsradikale machten mit Gewaltakten darauf aufmerksam, ihren „gefallenen Führer“ rächen zu wollen. Polizei und Politiker befaßten sich plötzlich fieberhaft mit dem Problem Rechtsradikalismus. Der sächsische Landtag nahm ausgerechnet die von Zuhältern abgegebenen tödlichen Schüsse auf einen Neonazi zum Anlaß, sich endlich mit der „Bedrohung der politischen Kultur“ in ihrem Land zu befassen. Eine Initiative von Bündnis 90/Grüne, mit einem Sozialprogramm für Prostituierte auch den kriminellen Sumpf der Zuhälterei trockenzulegen, blieb unbeachtet. Zwei Monate zuvor, als der mosambikanische Arbeiter Jorge Gomondai von Rechtsradikalen aus einer fahrenden Straßenbahn gestoßen worden war, hatte die Staatsanwaltschaft nicht annähernd soviel Eile gezeigt, die Täter zu ermitteln. Sie begann erst, als der Mosambikaner eine Woche nach der Tat seinen Verletzungen erlag. Drei Tatverdächtige sind nun lediglich auf Körperverletzung angeklagt; ein Prozeßtermin steht noch nicht fest. Angeblich sahen sich die Ermittler in „Beweisnot“. Da unbeteiligte Zeugen fehlten, sei zu klären, ob Gomondai aus Angst gesprungen sei oder ob er herausgestoßen wurde.
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