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Familienmenschen

■ Die Wildecker Herzbuben im ICC

Möchten Sie von wildfremden Menschen angelächelt werden? Nichts leichter als das: fahren Sie mit einem großformatigen Programmheft der »Wildecker Herzbuben« in der U-Bahn, das Konterfei der »Singenden Tonnen« (BILD) garantiert überall gute Laune.

Wolfgang Schwalm und Wilfried Gliem aus dem hessischen Wildeck ackern seit zwanzig Jahren in der Musikbranche, aber erst ihr Superhit »Herzilein« machte sie zu Topstars der Volksmusik. Das erste Album als Herzbuben ist doppelt platinveredelt, mehr als eine Million Scheiben gingen innerhalb eines Jahres über die Verkaufstheken.

Der Erfolg wurde hart erarbeitet; in den letzten 320 Tagen standen die Herzbuben 370 Mal auf der Bühne. Ob in großen Hallen mit ihrer Band »Curocas« oder mit Halbplayback in Bierzelten, die Herzbuben sind überall dort, wo geschunkelt wird. Und sie haben Spaß bei der Arbeit. Schon auf dem Weg zum Soundcheck jodelt Wolfgang Schwalm in den langen Gängen des ICC, seine Arme wedeln dabei in der Luft herum. Die verwaschenen Jeans spannen sich über die breiten Hüften, die Wölbung unter der Windjacke läßt einen mächtigen Bauch erahnen. »Ja, die essen alles« bestätigt Leibkoch Herbert und rührt durch den Eintopf, der auf einer Herdplatte im Catering-Bereich vor sich hinblubbert. Dazu gibt es frische Waffeln und dick belegte Wurstbrote, »sie mögen es halt deftig«.

Die Professionalität der Musiker zeigt sich beim Soundcheck. Die Herzbuben lassen keinen Tontechniker an die Anlage, jeder Handschlag wird selbst ausgeführt. »Da wissen wir wenigstens, daß es richtig gemacht wird« sagt Wilfried Gliem. Die Musiker der Begleitband haben eine exzellente Ausbildung genossen: Max Greger, Paul Kuhn und Günther Noris waren ihre Lehrmeister. Mühelos folgt das Sextett den Dicken aus Hessen, auch wenn es Wilfried Gliem bei den Proben einfällt, aus Lust und Laune heraus einen Song von den Mamas & Papas oder den Beatles zu singen.

Gliem ist der Boß der Truppe. Er managt das Millionenunternehmen »Herzbuben«, führt freundlich, aber bestimmt die Regie hinter den Kulissen. Ständig schleppt er ein tragbares Funkgerät mit sich herum — der Kontakt zu Ehefrau, Kindern und Enkeln ist ihm wichtig. Auch sein Partner ist ein Familienmensch. Wann immer es geht, steigt Wolfgang Schwalm nach einem Gig in seinen 600er Mercedes und fährt heim nach Wildeck.

Das wissen auch die Fans der Herzbuben zu schätzen. »Schreiben Sie ja nichts Schlechtes über unsere zwei Dicken«, mahnt mich eine ältere Frau im Foyer des ICC. Sie ist mit ihrer Freundin extra aus Jüterbog angereist, um die »netten Kerle« live zu sehen. Sie wird nicht enttäuscht. »Zwei Kerle wie wir«, singen die Hessen und wiegen kokett die Bäuche hin und her. Die Fans flippen aus. Frisch frisierte Haartollen fliegen durch die Luft, es wird geklatscht und gejohlt, die Beine stampfen im Rhythmus von »Hallo Frau Nachbarin« und »Ach, ist das schön!«. Immer wieder laufen kleine Kinder über die Bühne, überreichen den Herzbuben Blumensträuße, Kissen und Briefe.

Gliem und Schwalm fühlen sich sauwohl in ihren Trachten, fordern das Publikum zum Mitsingen auf: »Und jetzt alle!« Aber das ist gar nicht nötig, der Funken ist längst übergesprungen, die Fans feiern sich und ihre Stars. Die Zwischenmoderationen bestehen aus leicht schlüpfrigen Witzen: »Eigentlich hatten wir heute vor, hier auf der Bühne eine Jungfrau zu zersägen, aber wir fanden in ganz Berlin nicht eine einzige ... Säge!!« Das kommt an, da darf ungeniert gelacht werden. Und schon geht's weiter, zwo drei vier: »Ich lieb'dich immer noch« und »Guter Mond, mach dein Licht noch net aus«.

Der Höhepunkt der fast dreistündigen Show ist natürlich »Herzilein« Teil I und Teil II. Nun halten sich auch die älteren Herrschaften nicht mehr zurück, das ICC kocht. Die Wildecker Herzbuben lachen sich an, ihre Arbeit hat sich gelohnt, sie sind die neuen Könige der Volksmusik. Werner

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