: Stärkere Opposition durch eine neue Verfassung
■ Die Beratungen der Enquetekommission zur Berliner Verfassungsreform haben begonnen/ Im Vordergrund stehen die Rechte des Parlaments
Berlin. Der Themenkatalog ist so umfangreich, daß die Abgeordneten und ExpertInnen sich auf das ihnen Naheliegende beschränken. Im Vordergrund der Beratungen der Enquetekommission zur Verfassungsreform sollen zunächst die Rechte des Parlaments stehen. Die verfassungsrechtliche Normierung des Verhältnisses der Volksvertreter untereinander sowie zum Volk einerseits und zur Regierung andererseits wird die 27köpfige Runde wahrscheinlich bis zur Sommerpause beschäftigen. Danach will man sich den wesentlichen Teilen einer jeden Verfassung, den Grundrechten der Bürger und den Staatszielen widmen. Darauf einigte sich gestern die Enquetekommission in ihrer zweiten Sitzung.
Ein Jahr lang dauerte es, bis das Gremium am 11. Februar zum ersten Mal tagte. Am 11. Januar 1991 hatte das erste Gesamtberliner Parlament in seiner konstituierenden Sitzung beschlossen, daß die damalige Westberliner Verfassung in Gesamtberlin gelte, allerdings bis zum Ende der Legislaturperiode überarbeitet und dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werde. Bis dahin galt in Ostberlin die am 23. Juli 1990 von der Stadtverordnetenversammlung verabschiedete Verfassung und in Westberlin die Verfassung aus dem Jahre 1950. Beide dienen der Enquetekommission als Grundlage.
Alle Beteiligten sind sich zwar sicher, vor der gesetzlich festgeschriebenen Deadline 1995 die Arbeit beendet zu haben, wie lange die Beratungen jedoch dauern werden, mag keiner genau abzuschätzen. Der Sprecher der SPD in der Enquetekommission, Alexander Longolius, will bis zum Sommer 1993 die neue Verfassung vorlegen. Sein Kollege von der CDU, Klaus Finkelnburg, ist allerdings skeptisch, ob dieses Datum einzuhalten ist, denn »der Teufel steckt im Detail«. Und den sieht der CDU-Rechtsexperte am leichtesten gebannt, indem die Debatte eingegrenzt wird. Wo absehbar keine Einigung zu erzielen sei, muß man sich nicht unnötig lang den Kopf zerbrechen.
Eine Übereinstimmung besteht bereits jetzt in dem Willen, die Rechte der Opposition im Abgeordnetenhaus zu stärken, denn die Opposition und nicht das gesamte Parlament gewährleistet erfahrungsgemäß die Kontrolle der Exekutive. Mit Blick auf das englische Parlament findet Finkelnburg, daß die Opposition so ausgestattet werden soll, daß sie den Regierungsfraktionen, die bei ihrer Arbeit in der Regel auf den Verwaltungsapparat zurückgreifen können, ebenbürtig ist. Dies kann nach Longolius' Einschätzung dadurch erreicht werden, daß den Oppositionsparteien generell der Vorsitz in Ausschußsitzungen übertragen wird und daß sie mehr finanzielle Mittel erhalten.
Akteneinsicht für Parlament und Bürger
Beide Politiker befürworten zudem ein stärkeres Akteneinsichtsrecht für Abgeordnete. Diese müssen sich bislang bei der Kontrolle der Verwaltung mit Berichten der Senatoren begnügen. Präzise Einblicke ins Innere der Behörden erhalten sie darüber nur in den seltensten Fällen. Hinter diese Forderungen ihrer Kollegen stellt sich auch die Vorsitzende der Enquetekommission, die Abgeordente der Grünen/Bündnis 90 , Renate Künast.
Künast will zudem jedeR BürgerIn das Recht auf Einsicht in die sie betreffenden Akten zugestehen. Die Abgeordnete sieht sich dabei im Einklang mit dem Verfassungsentwurf, der zur Zeit im brandenburgischen Landtag abschließend beraten wird und dabei auf heftigen Widerstand der CDU trifft.
An dem Entwurf hat auch Finkelnburg mitgewirkt, der beim Akteneinsichtsrecht allerdings zur Vorsicht rät, denn es gelte die Rechte Dritter zu schützen. Auch bei der grundrechtlichen Festschreibung der Bürgerbeteiligung ist der CDU- Mann weit zurückhaltender als seine Grünen-Kollegin. Diese will sowohl die Möglichkeit, per Volksentscheid die Regierung zu wechseln, als auch ein Initiativrecht der Bevölkerung bei Gesetzentwürfen in die Verfassung aufnehmen. Während Longolius diesem Begehren grundsätzlich positiv gegenübersteht, sieht Finkelnburg in seiner Fraktion noch Diskussionsbedarf.
Scheitern wird Frau Künast wohl in dem Begehren, die Fünf-Prozent- Klausel zu ändern. Selbst die FDP, die schon häufiger über diese Hürde gestolpert ist, will sie aus grundsätzlichen Erwägungen aufrechterhalten.
Einig sind sich hingegen Grüne und Liberale in ihrer Opposition gegen den Vorschlag Walter Mompers, die Kompetenzen des Regierenden Bürgermeisters zu erweitern. Der SPD-Vorsitzende will zukünftig die Senatoren vom Landeschef und nicht mehr vom Parlament nominieren lassen. Der Schulterschluß der Oppositionsparteien dürfte allerdings kaum ausreichen, um das Vorhaben zu verhindern, denn die Regierungsparteien verfügen bereits alleine über die für Verfassungsänderungen notwendige Zweidrittelmehrheit.
An dieser dürfte auch das Vorhaben der Grünen scheitern, das grundgesetzlich festgeschriebene Monopol der Parteien auf die politische Willensbildung zugunsten von Bürgerinitiativen zu erweitern — ein Vorhaben, das sich für diese in Mark und Pfennig auszahlen würde. Während Longolius in dieser Frage Wohlwollen signalisiert, sieht Finkelnburg das Grundgesetz tangiert, und dieses ist bindende Grundlage für die Landesverfassung.
Auch Renate Künast weiß um die »begrenzten Spielräume«, die aufgrund dieser Rechtssystematik der Arbeit der Enquetekommission gesetzt sind. Doch diese will sie ausreizen. Ihre Kollegen aus den anderen Parteien tendieren eher dazu, die derzeitige Debatte, die der Bundestag zur Novellierung des Grundgesetzes führt, bei der Formulierung der Grundrechte zu berücksichtigen.
Wenn die Mitglieder der Enquetekommission ihre Arbeit beendet haben, werden sie die Hände noch nicht in den Schoß legen können. Denn noch in diesem Jahr soll die Grundsatzentscheidung über ein gemeinsames Land Berlin-Brandenburg fallen. Sollte sie positiv ausgehen, steht eine neue Arbeitsrunde an. Denn dann muß aus den gerade beschlossenen Verfassungen der beiden Länder eine neue gebildet werden. Dieter Rulff
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