piwik no script img

Hoffnungsträgerin auch ohne Dirndl

Renate Schmidt beim „Politischen Aschermittwoch“ der SPD in Vilshofen/ Abrechnung mit der CSU, aber auch mit den eigenen Reihen/ Klares Nein zur Grundgesetzänderung in Asylfrage  ■ Aus Vilshofen Bernd Siegler

„Wir wollen nicht die Revolution in Bayern“, tönt die bayerische SPD- Landesvorsitzende Renate Schmidt im „Wolferstetter Keller“ im niederbayerischen Vilshofen. Dort, wo der Politische Aschermittwoch seit 73 Jahren Tradition hat, rechnet die 48jährige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags und bayerische SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahlen 1994 mit dem politischen Gegner ab und versucht, ihre Vorstellung von einem „liebens- und lebenswerten Bayern“ darzulegen. Daß Renate Schmidt keine Revolution will, das glauben ihr die 700 Zuhörer im vollbesetzten Saal sowieso, auch wenn die „rote Renate“ diesmal dem kleinen pelzbesetzten Schwarzen vor dem Trachtendirndl den Vorzug gegeben hat. Ihren Optimismus, in Bayern 1994 die Macht zu übernehmen, zu folgen, da tun sich die noch von der letzten Landtagswahl (26 Prozent SPD) demoralisierten GenossInnen schon schwerer.

Trotzdem sind sie nach der über einstündigen Rede „mit dem Besten, was die SPD in Bayern zu bieten hat“, wie der niederbayerische SPD- Bezirksvorsitzende Leidinger Renate Schmidt vorgestellt hatte, restlos zufrieden. „Volksnah“, „schlagfertig“, „mutig“, „selbstbewußt“ lauten die Kommentare über die Frau, die als Seiteneinsteigerin in der verkrusteten weiß-blauen SPD eine Strukturreform durchgesetzt hat und mit überwältigender Mehrheit als erste Frau zur Landesvorsitzenden gekürt worden ist. Die dreifache Mutter und zweifache Oma hat nicht den in der SPD oft geforderten „Stallgeruch“ vorzuweisen. Sie gibt auch offen zu, daß für sie „die sozialistische Utopie noch nicht gestorben“ sei. Trotzdem hat sie es zur Hoffnungsträgerin der Partei, nicht nur im Freistaat, gebracht.

Renate Schmidt kämpft nicht nur für andere Mehrheiten in Bayern, sie kämpft auch für mehr Frauen in der Partei („Rot ist in, Frau Nachbarin“). Das Publikum in Vilshofen ist jedoch eindeutig männlich dominiert, das SPD-Podium liefert auch noch keinen Erfolgsbeweis: wie immer Gruppenbild mit Dame. Doch die „Powerfrau“ ('Der Spiegel‘) hat Ausdauer und meint es ernst. Das will sie ihren Zuhörern vermitteln, und das kommt auch an. — Ganz nach dem Songtitel Frauen kommen langsam, aber gewaltig beginnt Renate Schmidt in Vilshofen verhalten. Sie hält sich an die von ihr selbstverfaßte Rede, das Publikum hört interessiert, aber wenig begeistert zu. Immer dann jedoch, wenn die SPD- Chefin das Manuskript verläßt und dabei die Politik der CSU geißelt, trifft sie, nimmt man den Beifall als Maßstab, exakt den richtigen Ton.

Bevor sich Renate Schmidt in Vilshofen der CSU widmet, rechnet sie mit den „selbstinszenierten Eiertänzen“ in den eigenen Reihen ab. „Selten in der Geschichte haben sich auch die Sozis mit ihren eigenen Verrücktheiten am Rhein so um die öffentliche Unterhaltung verdient gemacht wie in der Faschingssaison 1991/1992.“ In der Folge greift sie dann insbesondere soziale Mißstände auf. Wohnungsnot, Pflegenotstand und Armut sind ihre Themen. Angesichts der Tatsache, daß jeder zehnte Münchner Haushalt am Rand oder unterhalb des Existenzminimums leben muß, fordert sie für Bayern eine Politik, „die nicht länger verneint, daß es auch bei uns Armut gibt, und die diese Armut wirksam bekämpft“. Sie polemisiert gegen die CSU-Politiker, die „in München tönen und in Bonn den Schwanz einziehen“, gegen die „unerträgliche Unsozialpolitik der Bundesregierung“, gegen das umweltpolitische „Geschwafel“ von Bayerns Umweltminister Peter Gauweiler und gegen das finanzpolitische „Dahingewurstele“ des CSU-Vorsitzenden Theo Waigel. Die Zensuren für die Staatsregierung fallen vernichtend aus: „Minister und Staatssekretär hoaßen's, hirnverbrand san's.“ Aufgabe der Regierung sei es jedoch, nicht zu reden, sondern zu handeln. „Deshalb will ich in die Regierung und aus keinem anderen Grund“, verkündet sie selbstbewußt. Entgegen dem Getöse ihres Parteifreundes und Münchner Oberbürgermeister Kronawitter setzt die gelernte Systemanalytikern und langjährige Quelle-Betriebsrätin ein klares Nein zu einer Änderung des Artikel 16 des Grundgesetzes. Die Völkerwanderungen auf der Welt ließen sich durch keinerlei gesetzliche Maßnahmen auf null reduzieren, „auch nicht durch einen Federstrich im Grundgesetz“. Schmidt fordert zwar eine Beschleunigung der Asylverfahren und ein Zuwanderungsgesetz für Aussiedler und Flüchtlinge, die nicht politisch verfolgt werden, „nach unseren Bedürfnissen, so wie wir es verkraften“. Sie wehrt sich aber vehement gegen die „Politkriminellen“, die mit dem Thema Asyl „ein parteipolitisch widerwärtiges Süppchen“ kochen wollen. „Handeln statt Hetzen“ sei das Gebot der Stunde. „Mir reicht es, was in diesem Land zu dieser Frage los ist“, empört sie sich über die Unionsparteien und erhält dafür den stärksten Applaus in ihrer ganzen Rede.

In diesen Momenten verspüren die „Genossinnen und Genossen“ Kampfeslust und Siegeszuversicht. Renate Schmidt läßt keinen Zweifel offen, wie sie gedenkt, in Bayern zu neuen Mehrheiten zu gelangen. Rot- grün-gelb müsse das Bündnis sein, um überhaupt Chancen auf den Machtwechsel zu besitzen. Daß in diesem Jahr sowohl die SPD als auch die FDP und Grünen ihren Politischen Aschermittwoch in Vilshofen abhalten, hält sie für „ein gutes Omen für die nicht allzuferne Aussicht, daß das bunte farbenfrohe Bayern unter seinem weiß-blauen Himmel nicht schwarz bleiben wird“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen