Russisches Roulette mit Schwangeren

Ein aus England importierter Bluttest für das Down-Syndrom bei Ungeborenen verunsichert Schwangere und Frauenärzte/ Der sogenannte Triple-Test ist „ein gutes Geschäft mit der oft diffusen Angst der Frauen vor einem behinderten Kind“  ■ Von Eva Schindele

Die 32jährige Renate ist fassungslos, als ihr der Krankenhausarzt wenige Stunden nach der Geburt mitteilt, daß ihr Neugeborener vermutlich das Down-Syndrom (bekannt als Mongolismus) hat: „Aber, das kann doch nicht sein, ich habe doch in meiner Schwangerschaft das Blut untersuchen lassen, und da war doch alles in Ordnung.“

Renate hatte auf Empfehlung ihres Gynäkologen in der 17. Schwangerschaftswoche den sogenannten Triple-Test durchführen lassen. Dieser aus England kommende Bluttest mit entsprechender Software ist seit etwa zwei Jahren auf dem deutschen Markt. Er kann zwischen der 16. und 18. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Neben dem Eiweiß Alpha-Fetoprotein werden noch zwei weitere Werte (Freies Östriol und Choriongonadotropin) im mütterlichen Blut bestimmt und mit dem Alter der Mutter korrelliert. Auf diese Weise wird individuell für jede schwangere Frau das Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom errechnet.

Renate verwechselte die Möglichkeit einer individuellen Risikoeinstufung aufgrund des Bluttests mit einer definitiven Aussage. „Schließlich wollte ich nur auf Nummer Sicher gehen“, sagt Renate. Sie wog sich in Sicherheit, weil der Test Entwarnung gab: Schließlich lag ihr persönliches Risiko „nur“ bei 1 zu 1.200. Daß nun vielleicht gerade sie die 1.200ste sein könnte, darüber hatte Renate nicht nachgedacht. Auch der Frauenarzt verlor darüber kein Wort.

Ursprünglich sollte der Triple- Test marktschreierisch „Feto- Check“ genannt werden, bis man sich in humangenetisch-medizinischen Kreisen auf den nüchternen Namen Triple-Test einigte. Tausende von schwangeren Frauen haben ihn inzwischen durchführen lassen, viele davon ohne Wissen oder Nachdenken über die geringe Aussagekraft des Tests.

Wahrscheinlichkeitsbilanzen und Monsterphantasien

So auch Gisela. Zwischen Tips für Cremes gegen Falten und Diäten zum Abnehmen fand sie in der Frauenzeitschrift 'Brigitte‘ eine Notiz über einen tollen neuen Test für Schwangere: „Ob ein Ungeborenes am Down-Syndrom leidet, kann jetzt sehr früh durch einen Bluttest risikolos erkannt werden.“ Gisela, obwohl erst 28, ließ bei der nächsten Blutabnahme den Triple-Test gleich mitmachen. „Schadet ja nichts“, sagte sie sich. Eine Woche nach der Blutabnahme bestellte sie ihr Frauenarzt in die Praxis zum Gespräch. „Ich ahnte nichts Gutes.“ Der Computer hatte ein individuelles Risiko von 1 zu 400 ausgespuckt. Da dieser Risikofaktor in etwa der Möglichkeit einer 35jährigen entspricht, ein Kind mit Down- Syndrom zu gebären, empfahl der Frauenarzt eine Fruchtwasseruntersuchung: „Nur zur Abklärung des Befundes“, beruhigte er sie. Doch Gisela war schockiert und konnte sich aufgrund des Ergebnisses gar nicht mehr vorstellen, daß ihr Kind „normal“ sein könnte. Andererseits fürchtete sie sich vor dem invasiven Eingriff einer Fruchtwasseruntersuchung. Immerhin lag das Risiko, das Kind durch eine Fehlgeburt nach der Fruchtwasseruntersuchung zu verlieren, statistisch wesentlich höher als bei 1 zu 400. „Ich ließ mir nicht träumen, daß diese simple Blutuntersuchung noch einen solchen Rattenschwanz von anderen Untersuchungen nach sich ziehen würde“, sagt sie heute. Sie fühlte sich hin- und hergerissen, ihr war ähnlich übel wie in der Frühschwangerschaft, sie schlief schlecht und statt sich auf ihr Kind wie bisher zu freuen, kreisten statistische Zahlen und Monsterphantasien in ihrem Kopf. Um diese „Hirngespinste“ loszuwerden, entschließt sie sich in der 18. Schwangerschaftswoche zur Fruchtwasseruntersuchung. Über die Konsequenzen eines späten Schwangerschaftsabbruchs hatte sie nicht nachgedacht. In der 21.Schwangerschaftswoche bekommt sie das Ergebnis zugestellt: ohne Befund.

Fruchtwasserentnahme für alle Schwangeren

Zwei Beispiele von vielen. Einige Mediziner sehen wegen des neuen Bluttests eine „Massenhysterie aufgrund von unexakten Werten“ auf sich zukommen und fürchten eine Ausdehnung der Fruchtwasseruntersuchung auf potentiell alle Schwangeren. So berichtet ein Frauenarzt auf einer Fortbildungsveranstaltung, daß er in den zwei Monaten, in denen er das Triple-Test-Programm anwendet, mehr Frauen wegen des „auffälligen Befundes“ zur Fruchtwasseruntersuchung schicken mußte als sonst im ganzen Jahr. Der Grund: Häufig kommt es zu falsch-positiven Ergebnissen. Deshalb soll jeder „auffällige Befund mit einer Fruchtwasseruntersuchung verifiziert werden. Als auffällig gilt ein Befund, wenn die Wahrscheinlichkeit ein Kind mit Down-Syndrom zu gebären 1 zu 385 übersteigt. „Das bedeutet, das Risiko des invasiven Eingriffs einer Fruchtwasserentnahme potentiell allen Schwangeren zuzumuten“, kritisiert der Münchner Ultraschallspezialist und Frauenarzt Stefan Krone das neue Verfahren.

Erste Ergebnisse einer prospektiven Göttinger Studie bestätigen die Befürchtung. Nach der Auswertung von 5.000 von insgesamt 12.000 Schwangerschaften zeigt sich, daß nur etwa 50 Prozent der Kinder mit Down-Syndrom überhaupt erkannt werden können. Dies entspricht ebenso den Ergebnissen US-amerikanischer Studien.

Auch die Bremer Laborärzte Kövary und Nickel warnen „eindringlich vor der Gefahr eines unkritischen Einsatzes als Pränatalscreening“. Aber gerade um die Einführung eines neuen Pränatal-Screening-Verfahrens geht es der Hamburger Frauenärzte-Gemeinschaftspraxis Leidenberger und Co. Sie sind auf dem deutschen Markt führend und propagieren diesen Test als eine Möglichkeit, „die Amniozentese gezielt auch jüngeren [unter 35] Schwangeren anzubieten“. Das bedeutet, dieses Verfahren soll die bisherige Praxis der Altersindikation durch die Hintertür aufweichen. Denn zu Leidenberger und Co's Bedauern erfaßt man heute nur ein Drittel aller Kinder mit Down-Syndrom, „da die Mehrzahl dieser Kinder doch von jüngeren Müttern geboren wird.“

Schwangere werden völlig verunsichert

Mit eugenischen Argumenten scheinen sich gute Gewinne erzielen zu lassen. Marktkenner jedenfalls sehen in dem Triple-Test ein Riesen- Geschäft. Er kostet zwischen 100 und 200 DM und wird in den meisten Fällen von den Krankenkassen bezahlt. Mehrere Firmen haben sich inzwischen im Kampf um Marktanteile stark gemacht, so auch die Hamburger Produktionsgesellschaft „Dermalog“. Für fast 5.000 DM bieten sie Frauenarztpraxen „Software“ und „Schulung“ für das Pränatalscreening an. FrauenärztInnen, die sich von den Verkaufsstrategen nicht überzeugen lassen, wird dann kurzerhand gedroht. Die Bremer Frauenärztin Edith Bauer: „Mir sagte man, wenn ich das Computerprogramm nicht anschaffen will, dann müßte ich auch mit juristischen Klagen von Patientinnen rechnen.“ Die Drohung mit dem juristischen Knüppel schreckt viele Ärzte, und deshalb kaufen sie es. Gehört aber dieses Testprogramm erstmal zum Repertoire einer Praxis, müssen die Kosten auch hereingewirtschaftet werden.

Die Frauenärztin Edith Bauer sieht in dem Triple-Test „ein Geschäft mit der oft diffusen Angst der Frauen vor einem behinderten Kind“. Sie fürchtet, daß damit die Verunsicherung der Schwangeren noch weiter vorangetrieben wird.