: Gräfliches Silber
Schweigen wäre Gold gewesen: Gräfin Razumovsky zum „Chaos Jugoslawien“ ■ Von Gerd Busse
Beim Thema Jugoslawien blickt kaum noch jemand durch. Da zerstört die von den Serben dominierte Bundesarmee kroatische Städte und begründet dies mit dem Erhalt eines jugoslawischen Gesamtstaates. Die Kroaten setzen dagegen, daß es sich um einen Eroberungskrieg handle, der die Errichtung eines Großserbien zum Ziel habe. Serbien wiederum will von den Plänen der Armee offiziell nichts wissen, begrüßt jedoch deren Einsatz, da sie ihre auf kroatischem Territorium lebenden Landsleute vor dem „Genozid“ durch die kroatischen „Ustaschas“ bewahre. Wer soll sich da noch auskennen?
Doch jetzt gibt es endlich das Buch zum Chaos Jugoslawien, das im Untertitel beansprucht, die „historischen Ursachen, Hintergründe, Perspektiven“ der gegenwärtigen Krise zu beleuchten. Geschrieben wurde es von der Auslandsberichterstatterin Dorothea Gräfin Razumovsky, die, wie es in ihrer Kurzbiographie heißt, „1971-76 an der Seite ihres Mannes“ auf dem Balkan tätig war, „den sie 1990/91 immer wieder intensiv bereiste“. Bei der Lektüre ihres Buches fragt man sich jedoch zunehmend, was sie eigentlich all die Zeit dort gemacht hat. So geht sie mit keinem Wort auf den seit Jahren geschürten Nationalismus des Serbenführers Milosevic ein, dessen Destabilisierungspolitik entscheidend zum Ausbruch des Konflikts beigetragen hat. Die Rolle der Bundesarmee in Jugoslawien findet ebensowenig Beachtung wie das Referendum über die Unabhängigkeit Sloweniens und Kroatiens, das für eine besondere Dynamik in der Krisenentwicklung sorgte.
Was Razumovsky bietet, sind Tautologien („Jugoslawien ist ein Stück Balkan höchstselbst“), Phrasen („Die einzige Lösung ist ein neuer Start“) und jede Menge — meist völlig belangloser — Anekdoten, wie etwa die über Gaddafi, der bei einer Blockfreienkonferenz „seine geliebten Kamele und Leibwächterinnen“ mit der Botschaft vorgeschickt habe: Unterschreibt schon mal alles, was ihr wollt. Es wird ja sowieso nichts daraus.“ Schlaue Kamele!
Der Leser erfährt alles über eine 1972 in Montenegro ausgebrochene Pockenepidemie — über die momentane Haltung dieser Republik im jugoslawischen Konflikt liest er nichts. Oder ihm wird mitgeteilt, daß der serbische Prinz Djordje sich um den Thron gebracht habe. Kurz vorher wird das österreichische Ultimatum nach dem Attentat von Sarajevo im Juli 1914 erwähnt, dessen Ablehnung durch Serbien immerhin zum Ersten Weltkrieg führte — doch kein Wort davon, was denn nun dieses Ultimatum beinhaltete.
Die Wurzel allen Übels in Jugoslawien sieht Razumovsky im Kommunismus. Bar jeglicher Kenntnis der Zeitgeschichte behauptet sie, Tito und seine — in „verlausten Räuberuniformen“ steckenden — Partisanen hätten niemals eine wirkliche Basis in der Bevölkerung gehabt. Ihr Sieg begründe sich darin, daß „Churchill den Falschmeldungen seiner militärischen Nachrichtendienste Glauben schenkte, die ihn dazu bewogen, die moskautreuen Partisanen Titos zu unterstützen und Jugoslawien dem Kommunismus auszuliefern“. Ob es eine Alternative für Churchill gab, wird von Razumovsky nicht diskutiert — wie sie auch die Frage, was aus Jugoslawien ohne die westliche Unterstützung Titos geworden wäre, nicht erst stellt.
Die Ursache der jetzigen Krise sieht die Autorin nicht etwa in den großserbischen Träumen Belgrader Politiker, sondern in der Angst der Serben vor einem „Wiederaufleben des Kirchenstreits“ zwischen der orthodoxen und der katholischen Kirche. „Wesentliche Voraussetzung zu ihrer Überwindung wäre [...] ein Höchstmaß an Zurückhaltung von seiten Roms.“ Dümmer geht's nimmer!
Was Razumovsky in ihrem Buch offeriert, ist keine Analyse der Krise, nicht einmal eine Darstellung der Fakten: es ist über weite Strecken einfach nur ödes Nachplappern serbischer Propaganda — in diesem Fall die These einer „vatikanisch-kommunistischen Verschwörung“ gegen Serbien, wie sie allen Ernstes von den Medien in Belgrad verbreitet wurde. Diese Medien charakterisiert Razumovsky übrigens als „vielseitig und regierungskritisch“ — eine Falschmeldung ebenso wie ihre Behauptung einer „starken ,demokratischen‘ Opposition“ in Serbien.
Die Sympathien der Autorin liegen eindeutig bei Serbien und der ihm treu ergebenen Bundesarmee. Um so härter geht sie dafür mit den nach Unabhängigkeit strebenden Republiken Kroatien und Slowenien ins Gericht. Dem kroatischen Präsidenten Tudjman wird seine Vergangenheit als Armeegeneral und seine Nähe zu Tito angekreidet, Slowenien als „Möchtegern-Staat“ abgetan und sein Präsident Kucan als „militanter Kommunist“ beziehungsweise „charmanter Wendehals“ denunziert, der sich bei den ersten freien Wahlen leider gegen den Sozialdemokraten Pucnik („ein echtes Opfer kommunistischer Verfolgung“) durchgesetzt habe. Typisch für Razumovsky, daß sie bei alldem verschweigt, daß auch Tudjman unter Tito im Gefängnis saß.
Den Höhepunkt bedenkenloser Geschichtsklitterei bilden jedoch die Darstellungen der militärischen Auseinandersetzungen in Slowenien und Kroatien. Nicht nur, daß sie ungeprüft die Sprachregelung der Bundesarmee übernimmt und den Einsatz ihrer Truppen mit der Sicherung der Staatsgrenzen rechtfertigt; sie geht gar soweit, sich zu fragen, ob denn die Kampfhandlungen von den Slowenen „nicht überhaupt willkürlich provoziert seien, um die Welt mit dem Schicksal der armen verfolgten Slowenen zu rühren und so die Anerkennung eines neuen, unabhängigen Staates zu erreichen.“
Was sind nun die Perspektiven, die Gräfin Razumovsky für die Zukunft Jugoslawiens sieht? Sie glaubt nicht an die Idee eines „Selbstbestimmungsrechtes der Völker“. Dennoch solle es „den in ihrem Selbstgefühl verletzten jugendlichen Völkern“ eines neuen Jugoslawiens vertraglich zugesichert werden, „in einem freien bunten Reigen kulturtragender Trachtenvereine“ ihre nationale Identität ausleben zu können. Stärker läßt sich das Unvermögen, den derzeitigen Konflikt auf dem Balkan zu beurteilen, nicht mehr ausdrücken. Angesichts der aggressiven Rolle, die Serbien und sein Verbündeter Montenegro in diesem Konflikt spielt, angesichts von 4.000 Opfern und 600.000 Flüchtlingen, die der schmutzige Krieg um kroatisches Territorium bisher gekostet hat, und angesichts des unabsehbaren wirtschaftlichen Schadens, den das Land dadurch erlitten hat, läßt sich nur das eine Fazit ziehen: Es ist ein zynisches, fast schon obszönes Buch, das uns Razumovsky mit ihrem Chaos Jugoslawien zumutet.
Dorothea Razumovsky: Chaos Jugoslawien. Historische Ursachen, Hintergründe, Perspektiven Piper TB, 189 S., DM 16,80
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