: Kein herkömmlicher Kriegsfilm-betr.: "Aus eines toten Recken Hose" von Christiane Peitz, Berlinale-taz vom 25.2.92
betr.: „Aus eines toten Recken Hose“ von Christiane Peitz, Berlinale-taz vom 25.2. 92
Zuerst sei Widerspruch ganz sachlicher Natur hier angesagt: „Aus eines toten Recken Hose“ kann nichts, rein gar nichts entstehen, geschweige denn ein Menschenleben. Und darum geht es in dem Film von Helke Sander BeFreier und Befreite — Krieg — Vergewaltigungen — Kinder, um Menschen, Frauenleben und die Opfer. In der Tat kein herkömmlicher Kriegsfilm.
Es ist ein historischer Film, ein Dokumentarfilm über das Massenphänomen Krieg, Vergewaltigung, Kinder; über den generell geführten sexistischen Krieg der Männer gegen die Frauen, gegen das weibliche Geschlecht. Ideologien, Nationalität, politische Moral werden in diesem Krieg allenthalben instrumental, als Funktion benutzt und eingesetzt.
Dieser Film ist der erste groß angelegte Diskurs über dieses Thema, das fast ein halbes Jahrhundert lang durch die gesellschaftliche Tabuisierung in Schweigen und Dunkel gehüllt war. Ein Film, der uns alle angeht, Frauen wie Männer.
Umfangreiche historische und wissenschaftliche empirische Recherchen waren notwendig, um zu legitimen, begründeten und belegbaren Aussagen und Analysen zu gelangen. Mit und durch den Film wurde zum ersten Mal ein öffentliches Forum geschaffen, in dem, auf dem die Frauen, die Mütter, Töchter und Söhne über die Vergewaltigung und ihre Folgen, über sich, ihr weiteres Leben, über die Isolation, die Stigmatisierung, die soziale und politische Ächtung, die psychischen Kränkungen, die ihnen zugefügt wurden, sprechen konnten. Das war und ist nicht leicht gewesen. Von mir persönlich kann ich sagen, es hat mich viel Überwindung, Kraft und Anstrengung gekostet.
Und nun Frau Peitz, hier an dieser Stelle komme ich zu Ihnen. Woher nehmen Sie sich eigentlich das Recht, mich quasi als „Produkt“ aus eines toten Recken Hose zu bezeichnen? Was denken Sie sich überhaupt dabei? An verächtlichmachender Geschmacklosigkeit, an bösartiger Unverschämtheit sind Sie kaum zu überbieten. Ihre Sprache und der Inhalt sind frauen- und auch männerfeindlich.
Nein, nicht Helke Sander, sondern Sie Frau Peitz, Sie sind es, die kein Interesse an den Personen hat, die in dem Film auftreten. Nicht Helke Sander, sondern Sie degradieren die Menschen durch wissentlich, willentlich falsches Zitieren zu Schnipseln, zu Halbsätzen und Worthülsen. Sie sind es und nicht Helke Sander, die willkürlichen Zitatenzusammenschnitt macht. Sie, nicht Helke Sander, machen aus den Frauen und Männern, denen der Schritt in die Öffentlichkeit nun wirklich nicht leicht gefallen ist, anonyme, leblose Wesen, eben: tote Hosen. [...]
Wie hätten Sie's denn gern gehabt? Fassungslos heulende, hilflos aufgelöste, stammelnde, würdelose Geschöpfe als exotische Objekte vorgeführt? Ein Gruselkabinett der besonderen Art? Ist das der „subjektive Faktor“, den Sie meinen? Ist das der subjektive Faktor, um den Sie sich betrogen fühlen? Ist das der Grund, so hemmungslos perfide und infam ein solches Machwerk in die Welt — ach, was sag ich — in die taz zu setzen?
Ihre Kritik, die diesen Namen nicht verdient, wird wohl bald schon vergessen sein. Der Film von Helke Sander BeFreier und Befreite — Krieg — Vergewaltigungen — Kinder ist historisch und gesellschaftspolitisch notwendig und wichtig, wichtig auch deswegen, weil er mutig, ehrlich, radikal und zutiefst human ist. Es ist gut für uns Frauen, aber auch für die Männer, daß es diesen Film gibt. Wiltrud Rosenzweig
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