: Lifestyle für den Biedermann
■ Die Wirklichkeit, die noch viel schöner ist, präsentieren uns die Reisemagazine der Großverlage. Edith Kresta hat die azurblauen Reiseträume mit Tiefenschärfe näher betrachtet
Die Wirklichkeit, die noch viel schöner ist, präsentieren uns die Reisemagazine der Großverlage. EDITH KRESTA hat die azurblauen Reiseträume mit Tiefenschärfe näher betrachtet.
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in ganz normaler Urlaubstag auf Jamaika: „Jeden Morgen das gleiche Programm: Ich liege am kristallklaren Pool meiner Suite, den ich mit vier Nachbarn teile... Es sind Big spender aus dem Yen-Land... Die Luxusurlauber liegen lautlos, apathisch auf ihren Sonnenliegen, bis endlich der erste Camcorder surrt. Dann kommt Leben in die Leiber, sie bespritzen sich im Pool und starten ein Wettschwimmen. Ihr japanisches Kichern hallt in der sakralen Stille der Hotelanlage.“ Wer das Glück hat, sich in diesem superfeinen Karibik-Ressort aufzuhalten, kann neben entspannungswütigen Japanern auch „Präsident Bush beim Golfen oder Fidel Castro beim Nichtstun erleben“. Süßes Leben, alles inklusive, drei Nächte für zwei ab 2.370 Mark.
Eine Kostprobe aus dem Reisemagazin 'Holiday‘, das uns „in die Wirklichkeit entführt, die noch viel schöner ist“ (Eigenwerbung). Ein bißchen Luxus, ein bißchen Exotik, ein paar Promis, ein Hauch von Erotik, den das importierte langbeinige, blond- blauäuige Model zwischen muskelbepackten Machos beispielsweise am Strand von Rio ausströmt. Am liebsten nehmen die Macher das Model gleich mit auf Recherche. Denn 'Holiday‘-Chefredakteur Michael Ramstetter geht davon aus: „Die Leute wollen sich selbst sehen.“ Eine Schwarze auf dem Cover bekomme dem Geschäft nicht. Denn besonders Frauen erlägen den heimlichen Sehnsüchten in 'Holiday‘ oder anderen Yellow-Press-Produkten, weiß der Marketingstratege von 'Burda‘, Ulf Dieter Flipp. Sie suchen „die Identifikation mit der Maus“, bringt Brandstetter die heimlichen Wünsche der Leserinnen auf den Punkt. Und um diese vom flotten Model auf sich selbst zu projizieren, müssen zumindest die Sommersprossen im Décolleté der Urlaubsschönen einen bescheidenen Anhaltspunkt zur Identifikation geben. Ob als männerbetörender Vamp an der Copacabana mit Tiefenbräune oder als sinnlich-rekelnde Schönheit am Pool, das übliche Ferienmodel hat blond, helläugig, groß und schlank zu sein. Damit alles schön steril und makellos ist, „drehen wir an den Fotos, daß es kracht“, erklärt Herr Brandstetter das ewige Azur mit Tiefenschärfe. Die Landschaft, das Reiseziel wird gnadenlos inszeniert, ob mit Models oder Technik; es muß ins glasklare Bild der Urlaubsträume passen.
Der agile Chefredakteur steht zu seinem Konzept: „Wir produzieren optisch aufgemotzte Träume und sind positiv von vornherein. Unsere Kompetenz ist nicht der Inhalt, sondern in erster Linie der Service.“ Da sich das superfeine Luxushotel zwar erträumen, aber nicht unbedingt bezahlen läßt, bietet der Serviceteil neben dem optisch präsentierten First class auch schlichteres Middle class. Eine echte Fleißarbeit der Redaktion, die vor allem Praktikanten einen Geschmack des gängigen Reisejournalismus vermittelt.
Beflügelte, schillernde Worte, Ich- Form, wenig Inhalt, viel Produkt. „Es ändert sich nicht das Wie oder Was, sondern das Wo“, bringt die 'Holiday‘-Redakteurin Barbara Herbrand die Inhalte ihrer Arbeit auf den Punkt. Die Recherche in den Traumzielen dieser Welt bewegt sich dementsprechend zwischen Restaurants, Bars, Disco und Hotels, der touristischen Infrastruktur eben, und die unterscheidet sich, ob in Südafrika oder auf den Malediven, höchstens in den Superlativen der einheimischen Küche. „Der Ozean ist überall blau, und die Palmen wiegen überall leise im Wind“, so die Redakteurin.
In der Tat muß da der journalistische Blick schnell ermüden. Doch immer neue verheißungsvolle Ziele kompensieren die inhaltliche Ebbe. Scheinbar, denn das Ziel ist nur Mittel zum Zweck. Der Zweck ist das touristische Produkt, und das ist wiederum überall gleich: Außer gepflegtem Müßiggang und etwas Ambiente „im Stile von Rasta, Rumpunch — take it easy“ allenfalls noch mehr oder weniger Golf- und Tennismöglichkeiten. Die immer wieder neuen Traumziele haben wenig Neues zu bieten. Der Reisejournalist kann sich nur wieder tiefsinnig in die Feinheiten der Küche, den Luxus der Hotelbetten und die Vielfalt der Cocktailbar einlassen. Das bringt Farbe in den Bericht. Denn selbst mit menschelnden Aspekten wie O-Tönen ist man sehr zurückhaltend. Einheimische kommen allenfalls als arbeitende Zulieferer dieser glückspendenden Industrie ins Blatt. Hier mal ein distinguierter Kellner, dort mal ein kompetenter Koch, der die interessanteste Art der Krabbenwürze verrät, und allerhöchstens mal das Zimmermädchen, das noch heute von den liegengelassenen Juwelen eines Edelstars schwärmt. Tips und Information zu Land und Leuten nimmt man, wenn schon, denn schon, „vom Präsidenten der Reisebüros, vom berühmtesten Schönheitschirurgen oder legendären Art-director“.
Lifestyle für den Biedermann oder die Biederfrau. Das superartifizielle Produkt für den Couchtisch, in der schlichten Mischung von Hochglanz, Möchtegern und schöner Welt. Ferne Exotik ist dafür das adäquate Stilmittel, doch, so weiß auch 'Holiday‘-Chef Michael Ramstetter, man dürfe die Ziele vor der Haustür nicht außer acht lassen, denn die Mehrzahl reist immer noch dorthin. Und so trifft man sich auch mal zum Golf in Bad Griebach oder zum Skifahren im kleinen Walsertal.
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as „Mädel“-'Holiday‘ von Burda ist sicherlich das schrillste Produkt auf dem Reisemagazinmarkt: fröhlich konsumierend um die Welt, haarscharf am Reiseziel vorbei. Mitstreiter um die selig machenden Reisewünsche mit einem vertriebsmächtigen und anzeigenkräftigen Verlag im Rücken sind 'Saison‘ von Gruner+Jahr und 'Globo‘ aus dem Renier Verlag. Auch wenn 'Globo‘ und 'Saison‘ von der Form seriöser daherkommen und sich vom Inhalt teilweise anspruchsvoller und am Land interessierter geben, die Gemeinsamkeiten mit dem Knallbonbon-'Holiday‘ sind größer als die Unterschiede. Auch hier läßt uns das genußvoll durch die Welt ziehende Subjekt an seiner selbstbezogenen Sichtweise teilnehmen. Das Ergebnis dieser Reiserecherchen ist genauso aufs Produkt Tourismus reduziert: Sun, fun, Tips, Trends, Infos und Service. Mit dem originellsten Urlaubsfoto ('Saison‘), Leserumfragen ('Holiday‘) oder Reisetelefon ('Globo‘) müht man sich um effektive Leser-Blatt-Bindung.
Auch bei 'Globo‘ und 'Saison‘ geht es natürlich in erster Linie darum, wie stellvertretende 'Globo‘-Chefredakteur Dr. Bene Benedikt betont, „zum Reisen zu animieren“. Und der geschäftsführende Redakteur von 'Saison‘, Günter Mack, weiß: „Fast immer reift der Wunschurlaub ganz allmählich in der farbigen Welt schöner Bilder und schwereloser Tagträume. Weil viele Leser 'Saison‘ auch als kräftige Anregung in dieser traumhaften Vorurlaubsphase schätzen, trägt das Heft jetzt den Untertitel „Träumen und Reisen“.
Dem Träumen tut es auch keine Abbruch, wenn in 'Globo‘ auch mal ein Hauch Kritisches einfließt. Beispielsweise daß „man auf Guadeloupe zu den Touristen ein eher gespaltenes Verhältnis hat... Früher brachte hier die Landwirtschaft leidlichen Wohlstand. Viele Leute errinern sich daran und meinen, so könnte es immer noch sein. Sie empfinden den Besucherstrom als Angriff.“ Und der Autor geht tiefschürfend der Frage nach, was man dagegen tun könne. „Am wichtigsten ist das Bonjour“, verät ihm ein Inselbewohner, der es schließlich wissen muß. Ein gutes Wort zur rechten Zeit kann eben Bäume versetzen.
Vom Werbekuchen der Reisebranche fällt für die Edelmagazine noch genug ab, so daß man nicht auf die großzügige Unterstützung der Veranstalter angewiesen ist, um eine Recherche zu finanzieren. Man greife allenfalls „auf die Hilfe“ (Ramstetter) der Veranstalter oder Fremdenverkehrsorganisation zurück; ein Flugticket wird von der einschlägigen Airline schon mal bezuschußt, wenn sie im Serviceteil Erwähnung findet. Ein schöner Bericht wird von den Veranstaltern in den meisten Fällen ohnehin gewürdigt. Man revanchiert sich fürderhin mit einer Anzeige. Die Grenze zwischen Anzeige, Bericht und Promotion ist nicht immer sehr klar. Vor allem 'Holiday‘ geht entsprechend seines laxen Stils sehr unbekümmert damit um, wenn beispielsweise im Serviceteil ein Restaurant oder Hotel nach dem anderen gepriesen wird.
Das strahlende Ambiente von sportlichen, weltgewandten Menschen, die sich bei schönem Wetter in exklusiver Landschaft tummeln, ob in Wort oder Bild, ist sowieso das geeignete Umfeld für den gehobenen Konsum bestimmter Genußmittel: Dazu gehört neben der Airline, die „sie einfach hinfliegt“, auch die „völkerverbindende Zigarette“, das Auto zur „Freude am Fahren“, der Film, der „die bunte Welt sieht“, und die Schönheitspflege für den Après Ski.
Glaubt man dem 'Holiday‘-Datenvergleich über die Leserstruktur der drei großen Reisemagazine, so liegt das Einkommen der Leser über 3.000 DM netto. Pauschaliert ausgewertet, fliegt der gutsituierte, ältere Herr auf 'Globo‘, jüngere Damen auf 'Holiday‘, und 'Saison‘ scheint für ein gut gebildetes Publikum um die 30 attraktiv. Sie alle verbindet die Lust am Reisen. Und Reisen ist eben wie die Marke ihres Autos, „eine Sache des Lebensstils“ (Bene Benedikt, 'Globo‘).
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