: Der Kleine
■ Heinz Rühmann wird 90
Der Kleine Heinz Rühmann wird 90
Stars erkennt man unter anderem am Ausmaß der Anekdotenbildung. Als Fritz Kortner bei Theaterproben einem Schauspieler mehr Mut zu Tonfallvarianten abforderte, soll dieser entgegnet haben: „Was wollen Sie denn — Rühmann ist doch auch mit nur zwei Tönen berühmt geworden!“ Kortner, dramatisch brüllend: „Wie können Sie es wagen, einen unserer beliebtesten Schauspieler zu beleidigen!“ Pause. „Außerdem stimmt es nicht — Herr Rühmann hat mit einem Ton Karriere gemacht!“ Später nahm Kortner das böse Urteil zurück: Nachdem er mit Rühmann „Warten auf Godot“ inszeniert hatte, befand er den kleinen Nöler als unterschätzt und zu atemberaubend leisen Tönen begabt.
„Klein“. Immer ist Rühmann der Kleine gewesen. Körperlich, vom Stimmvolumen her und natürlich in den psychischen Profilen seiner Rollen. „Kleine Verhältnisse“: Der Vater saufender Kellner, die Mutter nur Tochter eines Hoteliers. „Kleiner Mann“: Rühmann war von der Weimarer Republik über die Nazi-Zeit bis heute der glaubwürdige, liebevolle, zärtlich-einverständliche Kleine- Leute-Darsteller des deutschen Films. Und wer das unterschätzt, hat nie gesehen, wie grauenhaft unkenntlich und verlogen die gesichtsarmen Angestellten, Postbeamter, Industrieproleten im deutschen Film und Theater meist gemimt werden. „Zu klein fürs Exil“: Rühmann hat, anders als sein (bedeutenderer) Kollege Curt Bois, die Distanz zum braunen Dreck nie gesucht. Er ist, im Gegenteil, ein großer Nazistar gewesen, hat viel Vernebelungsmaterial aus leichter Unterhaltung mitgetragen, hat viele Seichtfilme durch seine wunderbare Schauspielerei erst erträglich gemacht. Auch die Nähe zu offen ideologisch-propagandistischen Stoffen hat er nicht gescheut. Man ehrt ihn, glaube ich, nicht, wenn man ihm aus blöder stellvertretender Schamhaftigkeit 12 Jahre Vakuum Fleck in die Biografie lügt. Warum sollte man ihm vorwerfen, was auch beim allseits verehrten Bernhard Minetti immer diskret verschwiegen wird? Ich überschätze meine historische Phantasie nicht genügend, um mir da ein deutsches Urteil zu erlauben — nur, erwähnt werden soll die Zeit.
Daß Heinz Rühmann den gleichen Sprechlehrer hatte wie Hitler, zeigt nur, daß selbst der beste Pädagoge an gewissen Untalenten verzweifeln muß. Rühmann dagegen brauchte Sprechunterricht nur, um die Differenz zwischen Lernbarem und seinem charakteristischen Genuschel und Genöle auszumessen. Er ist für uns das gewesen, was Hans Moser für die Österreicher war. Daran ändern auch die Rührseligkeiten seiner Greisenjahre — bis hin zu Weihnachtsgedichten in Kirchen — nichts. Künstler müssen nicht politisch klug sein. Oft können sie's einfach nicht. Künstler müssen ihre Arbeit verstehen und lieben. Und Rühmann war und bleibt, trotz allem, ein großer Schauspieler. Auch wenn Leute meiner Generation, die noch begeisterte Nazi-Gymnasiallehrer erleben mußten, ihm die begütigend-verlogene Sülze der „Feuerzangenbowle“ nie verziehen haben. Klaus Nothnagel
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