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„Kein Beinbruch“

■ Zweite Bundesliga: Freiburgs kecke Studentengruppe kassierte ein 0:2 beim 1. FC Saarbrücken

Freiburg (taz) — „Freiburg hat, was alle suchen“, heißt der biedere Slogan, mit dem die selbsternannte „Hauptstadt der Ökologie“ landauf, landab für sich zu werben sucht. Zu gerne würde man in der Münsterstadt für mehr stehen als nur „den schönsten Turm der Christenheit“ (Jakob Burckhardt) und die berühmten „Bächle“, die die idyllische Altstadt durchziehen. Aber nach dem Niedergang der Hausbesetzerbewegung, die in den achtziger Jahren überregionale Berühmtheit erlangte, liegt man in der strukturschwachen Breisgaumetropole nur noch mit der durchschnittlichen Anzahl von Sonnentagen pro Jahr an der Spitze — und die sind gottgewollt.

Wenn irgendwo die Rede vom Fußball als „schönster Nebensache der Welt“ trifft, dann in der beschaulichen Universitätsstadt, wo 20 Prozent Grünwähler seit Jahren den kommunalpolitischen Kurs nachhaltig beeinflußt haben. Der Sport Club, wie so vieles im behäbigen Südwesten seit Jahren (Zweitliga-) Mittelmaß, ist keines von unzähligen Freizeitangeboten, und seine Spielergebnisse kaum wichtiger als die Qualität von Bier und Bratwurst beim samstagnachmittäglichen Plausch auf den meistens spärlich besetzten Stehrängen. So war es jedenfalls, bis sich in der laufenden Saison eine wieder einmal neu zusammengewürfelte Mannschaft der Namenlosen hartnäckig an der Spitze der zweiten Liga festsetzte. Mit hinreißendem Offensivfußball, einer sensationellen Heimbilanz (20:2 Punkte, ohne Niederlage) und dem erfolgreichsten Zweitliga-Sturm (42 Treffer) wurden selbst die naturgemäß eher verhaltenen südbadischen Fußballanhänger aus der Reserve gelockt.

Und nicht nur das: das Team und sein Trainer wirken darüber hinaus wie ein letztes Friedensangebot an die in die Jahre gekommene links- alternative Szene: Nicht weniger als sechs Spieler aus der Stammformation benutzen ihren Kopf nicht allein für das gleichnamige Ballspiel, sondern betreiben nebenbei ein Studium. Und als Vater des unerwarteten Erfolges gilt Trainer Volker Finke, ein beurlaubter Geschichtslehrer, dessen „Markenzeichen: Brilli im Ohr und selbstgedrehte Zigaretten“ inzwischen selbst von der Lokalpresse ohne Stirnrunzeln akzeptiert werden.

„Äußerst feiner Kombinationsfußball“, schwärmte ZDF-Mann Töpperwien, während seine Protagonisten gelassen blieben. „Was mach ich schon als Käpt'n? Jede Platzwahl verlieren und die Weihnachtsfeier organisieren“, konterte Torjäger Uwe Spies eine beliebte Reporterfrage. Und über die Zusammenhänge zwischen der Intelligenz von Fußballern und der ihres Spiels äußerte sich Andrée Fincke, sein Partner in vorderster Linie, skeptisch: „Da ist schon die Nationalmannschaft der Gegenbeweis.“

Zum Start in die Play-offs setzte es jetzt am Samstag für die Bundesligaträume der Breisgauer erst einmal einen Dämpfer. Zur Freude des Landesfürsten und Hobbykickers Lafontaine unterlag der Tabellenführer beim direkten Verfolger Saarbrücken mit 0:2 und mußte damit auch den Platz an der Sonne zumindest vorläufig abgeben. Wie so oft mißriet das auf heimischen Gelände schnelle und pfiffige Offensivspiel in der Fremde zu planlosem Geschurbel und Geschrubbel. Nichts war zu sehen vom Dribbel- Zauber eines Michael Zeyer, geschweige denn von der Gefährlichkeit des Sturmduos Spies und Fincke. Der Holperplatz im Ludwigspark tat ein übriges, und da die Saarbrücker den Freiburgern mit gleichen Mitteln antworteten, gehörte der Coach der Saarländer, Peter Neururer, zu den wenigen Glücklichen, die im Nachhinein ein gutes Spiel ihrer Mannschaft gesehen haben wollten.

Passend zum Match auch die Gurkentore, die sich Freiburgs Studentengruppe einfing. Beim 1:0 durch Krätzer schien Andrée Fincke noch mit wichtigen Überlegungen jenseits des laufenden Spiels beschäftigt zu sein. Und zum 2:0 leistete die Abwehr dann in einer Art Vorarbeit, die selbst Trainern von Schülermannschaften die Zornesröte ins Gesicht zu treiben pflegt. Daß der Student der Philosophie Jens Todt schließlich vom Schiedsrichter schon vor Ablauf der Partie in die Kabine entlassen wurde, um über den Unsinn überharten Einsatzes bei drohender Ampelkarte nachzugrübeln, rundete das Bild der unglücklichen Saarlandfahrt ab. Da hatte es fast schon symbolischen Charakter, als dann bei der Pressekonferenz Trainer Finke samt Stuhl vom Podium kippte. Sowohl für sich wie auch für die Mannschaft vermeldete der Coach dann aber: „Kein Beinbruch.“

Und da man tief im Südwesten um das zweite Gesicht der Mannschaft weiß, wird der Traum, die Fußball-Mittelmäßigkeit zu durchbrechen, so schnell auch nicht unterzukriegen sein. Ulrich Fuchs

Gruppe Nord, Aufstieg: Hertha BSC - St. Pauli 2:1, Abstieg: Stahl Brandenburg - Blau- Weiß 90 2:2, Eintracht Braunschweig - Fortuna Köln 1:0

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