Dengs letztes Gefecht

■ Über die Vereinbarkeit ökonomischer Reform und politischer Tyrannei in China

Dengs letztes Gefecht Über die Vereinbarkeit ökonomischer Reform und politischer Tyrannei in China

Seit der triumphalen Rückkehr Deng Xiao Pings ins Machtzentrum der KP Chinas am Ende der 70er Jahre stand die vom ihm geleitete Politik unter einer unumstösslichen Maxime: der Trennung des ökonomischen Reformprozesses, der bejaht, vom Demokratisierungsprozess, der verurteilt wurde. Diese Trennung aufzuheben, war das Ziel der Demokratiebewegung des Jahres 1989 und ihrer Forderung nach der „fünften Modernisierung“, d.h. der demokratischen Reform, gewesen. Noch in seiner wahrscheinlich letzten Offensive, die sich gegen die Bastionen der „Konservativen“ in den Medien und dem Unterrichtswesen richtet, bleibt Deng dieser Grundlinie treu. Neben der notwendigen „Öffnung“ soll das „Festhalten“ an den Grundlinien des wissenschaftlichen Sozialismus stehen.

Daß despotische Herrschaft und kapitalistische Marktbeziehungen koexistieren können, ist historisch offenkundig. Weit schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob der kommunistische Partei- Staat sich im Transformationsprozess der geplanten zur Marktökonomie behaupten kann. Produzieren Markt und privates Eigentum an Produktionsmitteln eine Dynamik, die schon vom Informationsfluß und den dezentralisierten Entscheidungen her das Machtmonopol der einen Partei untergraben? In China ist diese Dynamik seit 1989 unterbrochen, denn die Privatisierung der Staatsbetriebe ist ebenso storniert wie die Bildung eines funktionierenden Kapitalmarkts. Dennoch läßt sich aus der Entwicklung der ökonomischen Sonderzonen, vor allem denen, die dem Einfluß Hongkonger und Taiwanesichen Kapitals unterliegen, eine Tendenz ablesen, die für die Sympatisanten der demokratischen Reform beunruhigend ist: Die dort neu entstehenden Mittelschichten lehnen zwar den Kommunismus als Ideologie und Herrschaftssystem ab, gleichzeitig aber sind sie an der Herstellung demokratischer Verhältnisse desinteressiert. Sie verabscheuen den Pekinger Zentralismus aber arrangieren sich ohne Schwierigkeiten mit den örtlichen und regionalen Machteliten der Partei. Die Kommunisten verzichten auf jede öffentliche Präsenz, auf jede ostentative Propagandaaktion, um desto effektiver an den Beziehungsnetzen mitzustricken. Wie schon in Hongkong selbst zeichnet sich eine Koalition zwischen der konservativen, konfuzianisch geprägten Geschäftswelt und den Parteioligarchen ab. Und ebenfalls wie in Hongkong drohen demokratische Kräfte ebenso auf der Strecke zu bleiben wie die unabhängige Arbeiterbewegung. Diese unerfreuliche Perspektive mag zwar langfristig und auf China als Nation bezogen nicht gelten - aber wie der chinesiche Außenminister und seine westdeutschen Gastgeber es in der gemeinsamen lingua franca ausdrücken werden: In the long run we all are dead. Christian Semler