piwik no script img

Südafrikanische Grenzüberschreitungen

■ Schwarze und weiße Städte, bislang durch die Apartheid strikt getrennt, suchen nach einer gemeinsamen Zukunft AUS JOHANNESBURG TIM MURPHY

Die Begegnung ist immer noch ein wenig ungewohnt, aber eine gewisse Routine hat sich schon eingeschlichen. Freundlich plaudernd begegnen sich die Herren und einige wenige Damen vor der Sitzung bei Instant-Kaffee und weichen Sandwiches. Auf ein Signal hin nehmen alle schließlich im großen Konferenzsaal Platz.

Im Johannesburger Bürgerzentrum, einem grauen Betonkoloß von atemberaubender Häßlichkeit, hat sich die „Central Witwatersrand Metropolitan Chamber“ versammelt: Abgesandte der weißen Städte und der schwarzen Townships, die eine gemeinsame Zukunft planen. Einträchtig nehmen das Gestern und das Morgen nebeneinander Platz — die steifen burischen Adminstratoren neben den jüngeren Aktivisten aus den Townships.

Die Kammer ist eine Art Interim- Regierung auf lokaler Ebene. Gemeinsam sitzen schwarz, braun und weiß unter den kolossalen Leuchtern im Stil des Goldgräber-Barock. Man debattiert die große Zukunft und die drückende Gegenwart. Der junge Inder vom Afrikanischen Nationalkongreß (ANC) hält eine engagierte Rede über die Probleme jener schwarzen Familien, die zu Millionen in selbstgebastelten Hütten rund um die Stadt leben. Die Repräsentanten des alten Südafrika in ihren grauen Anzügen nicken milde interessiert und machen Notizen.

Man hat eine große Aufgabe vor sich. Denn in Städten wie Johannesburg prallen noch immer erste und dritte Welt aufeinander. Hier die Blechhüttensiedlungen mit staubigen Sandpfaden, wo sich Elend in Gewalt entlädt; dort die parkartigen Anwesen der weißen Villenviertel mit Pool und eigenem Tennisplatz. Es ist die Metropole der scharfen Kontraste: Das Stadtzentrum erinnert mit seinen Wolkenkratzern an Dallas/Texas, im Norden verlieren sich die Nobelvororte endlos in einer sanft geschwungenen Landschaft. An den Rändern, in Townships wie Soweto und Thokoza, Alexandra und Tembisa, herrscht das tiefste, ärmste Afrika.

Eine US-amerikanische Studie fand 1990 heraus, das die Wohnverhältnisse in Johannesburg mit die schlimmsten der Welt sind — nur 28 Prozent der Behausungen haben Wasser und Strom. Es mangelt an Hunderttausenden von Häusern.

Jede Stadt, überhaupt jede menschliche Siedlung in Südafrika bis herunter zum kleinsten Dörfchen ist nach dem gleichen Muster aufgebaut: Das Zentrum und die guten Wohngegenden gehören den Weißen, die Schwarzen leben weiter draußen im „Township“, möglichst verborgen hinter einer Hügelkette. Die Politik der Apartheid hat diese strikte Architektur geschaffen und mit Gesetzen wie dem „Group Areas Act“ zementiert. Nur sehr allmählich werden solch uralte Grenzen überwunden.

Die Metropole Johannesburg, versprach schon vor zwei Jahren die liberale Demokratische Partei kurz nach ihrer Machtübernahme im Stadtrat, solle zu einem „Zentrum der Erneuerung und einer Quelle der Hoffnung für das ganze Land“ werden. „Es muß eine Umverteilung des Reichtums geben“, sagt nun Ian Davidson, Vorsitzender des Johannesburger Management-Komitees, „aus den Gebieten, die ihn produzieren, in solche, die hinterherhinken“.

Solch reale Veränderungen im Alltag von Millionen Südafrikanern sind erst nach der Reformrede von Staatschef Frederik Willem de Klerk im Februar 1990 überhaupt denkbar geworden. Davor hatten auch die Gemeinden eisern Apartheid betrieben: Buslinien, Parkbänke, Schwimmbäder, Toiletten, Sportplätze und Bibliotheken nur für Weiße. Die kleinen alltäglichen Entwürdigungen für „Nicht-Weiße“ waren zahllos. Als im letzten Jahr die entsprechenden Gesetze abgeschafft wurden, sann manch ultrakonservative Kleinstadt auf Wege, dem neuen Südafrika zu entrinnen. Einige führten enorme Bibliotheksgebühren für Schwarze ein, andere schlossen ihre Freibäder aus Angst vor schwarzer Kundschaft gleich ganz. Besonders rebellischen Townships wurde der Strom abgeknipst. Ein Stadtrat ließ in Panik vor der schwarzen Gefahr sein Freibad gar zuschaufeln — von schwarzen Arbeitern natürlich.

Doch allein in der Provinz Transvaal verhandeln inzwischen mehr als 70 Städte über Wege, das Erbe der Apartheid abzuschütteln. Kategorisch weigern sich nur jene, in denen die rechtsradikale Konservative Partei die Mehrheit hat. Die Regierung hat schon im letzten Jahr „Interim- Regelungen“ beschlossen, um solch lokale Übereinkommen zu ermutigen und ihnen eine legale Grundlage zu geben. Selbst die Buren-Metropole und Verwaltungshauptstadt Pretoria begann Ende Februar, gemeinsam mit seinen Townships und Nachbarn über eine andere Zukunft zu beraten. In Durban am Indischen Ozean wird ebenso verhandelt wie in Kimberley im heißen Norden der Kap-Provinz. Die Diamanten-Stadt war eine der ersten, die den fast unmöglichen Versuch gewagt hat. Noch in diesem Monat will sie den ersten Stadtrat ohne Rassenschranken vorweisen können. Erstmals werden indische, „farbige“ und schwarze Gemeinden eine Einheit mit der weißen Stadt bilden. Und da der Rassismus auch unökonomisch war, spart Kimberley durch diesen Zusammenschluß geschätzt 2 Millionen Rand pro Jahr.

Das Beispiel zeigt, daß die Apartheid in den Städten nicht nur entwürdigend, sondern auch teuer war. Hinzu kommt ein südafrikanischer Widerwille gegen alle Zentralisierung, der sinnvolle Gemeindegrenzen beinah unmöglich machte. Johannesburg, an der Goldader des Witwatersrand in nur 100 Jahren aus dem Nichts zur größten Metropole des südlichen Afrika gewachsen, ist in Wirklichkeit ein Konglomerat von gut einem Dutzend verschiedener Städte, das sich von Krugersdorp im Westen bis nach Springs im Osten rund 60 Kilometer breit ausdehnt. Dazu kommen noch rund ebensoviele schwarze Townships. Als Folge der Aufsplitterung ist etwa der öffentliche Nahverkehr ein Fiasko. Drängende Probleme wie das der Millionen Obdachlosen, die auf der Suche nach Arbeit in die Metropole drängen, scheinen beinahe unlösbar, da jede Gemeinde alle Verantwortung auf die nächste schiebt.

Im Norden Johannesburgs erleichtern die Reichenvorstädte Randburg und Sandton nun ihr Gewissen, indem sie „ihrem“ Township Alexandra helfen. Dort drängen sich weit über 100.000 Menschen auf einem Quadratkilometer. Eine Klinik soll gebaut, Strom verlegt, die stinkenden Jauchegräben, die das Township durchziehen, durch Abwasserleitungen ersetzt werden. Bislang werden menschliche Exkremente in Alexandra, wenn überhaupt, in schwappenden Bottichen abtransportiert.

„Es ist fast immer die gleiche Geschichte“, meint William Cobett, der bei 16 solcher Verhandlungen auf Seiten der schwarzen „civics“ als Berater teilgenommen hat. Am Anfang streitet man sich lange um die Beendigung des Mietboykotts, den Township-Bewohner überall in Südafrika Jahre lang als Waffe nutzten, mit der sie Veränderungen zu erzwingen hofften („Wir zahlen nicht für Apartheid“). Meist hätten die Städte, beobachtet Cobett, am Anfang auf stur geschaltet, nach dem Motto: „Wir sind bereit, euch zu helfen, aber es darf uns nichts kosten.“

Es folgten stets dramatische Verhandlungen, die nicht selten in aufgeheizter Atmosphäre zusammenbrachen. Schließlich geht es um gewaltige Summen: Allein beim Stromversorger Eskom haben die Schulden der Townships bald hundert Millionen Rand erreicht. Wir zahlen doch nicht auch noch für eure rassistischen Strukturen, argumentierten die „Civics“ — jene „Civic Associations“, oder Bürgervereinigungen der Townships, die bislang den Boykott betrieben haben und sich nun allmählich selbst ans Verwalten machen. Selbst die Weltbank bezieht diese Gruppen neuerdings in ihre Projekte ein.

Die „Civics“ sind zu einer politischen Macht geworden — und zugleich zum Talentschuppen des ANC und anderer Oppositionsparteien. Energisch verlangen sie überall die Absetzung von Südafrikas 259 Township-Verwaltungen. Die dort eingesetzten „Councillors“ haben für die weiße Regierung bislang die Drecksarbeit gemacht, oder auch nur dagesessen und kassiert. Als Repräsentanten des Apartheid-Staates zogen sie einen Haß auf sich, der in Attacken bis zum Mord mündete. „Es ist nicht akzeptabel“, sagt Moses Mayekiso, Präsident von CAST, einem Zusammenschluß aller „Civics“ im Großraum Johannesburg, „alte, korrupte Strukturen einfach zu vereinigen. Wir müssen Nachbarn werden und die Ungleichheiten beseitigen.“

Die Finanzlage in den Townships ist katastrophal, die meisten sind völlig bankrott. Aus schlichten Gründen: Inner-Johannesburg etwa hat für 800.000 einst rein weiße Bewohner 22.000 öffentliche Bedienstete und ein Budget von 2,62 Milliarden Rand. Soweto mit offiziell 1,6 Millionen Einwohnern (in Wirklichkeit sind es deutlich über 2 Millionen) hat nur ein Achtel dieses Budgets und 2.500 Bedienstete. In Johannesburg zahlen die großen Firmen, die es im Schwarzen-Ghetto natürlich nicht gibt. Auch Sowetos Bewohner mit einer Kaufkraft von mindestens 2 Milliarden Rand pro Jahr verdienen ihr Geld weitgehend in Johannesburg und geben es dort wieder aus. Davon kann sich die City sogar einen Picasso für die Kunsthalle leisten. In der schwarzen Schlafstadt bleibt nichts hängen. Strom- und Wasserversorgung, Kanalisation und Straßenbeleuchtung sind in desolatem Zustand.

Wo aber ernsthaft miteinander geredet wird, gibt es auch Erfolge. 70.000 kleine Häuser Sowetos wurden bereits an ihre Bewohner überschrieben. Auch auf bezahlbare Gebühren und Maßnahmen für eine bessere Versorgung mit Wasser und Strom hat man sich geeinigt. „Die Verhandlungen sind immer dann erfolgreich, wenn die weißen Autoritäten bereit sind, strukturell etwas zu ändern“, beobachtet Berater Cobett.

Noch immer zittern viele Weißen vor der Vereinigung von Stadt und Township. Sie ahnen, daß es sie etwas kosten wird. Als sich Ende Februar im Osten Johannesburgs die Städtchen Germiston, Bedfordview, Palm Ridge und das Township Katlehong zu vereinigen beschlossen, wachten die Weißen von Bedfordview plötzlich auf und rebellierten. Anfang März zog Bedfordview sich aus dem Abkommen zurück. Auch im noblen Sandton rächten sich viele Bürger, die um ihren Wohlstand fürchten, im Februar bei einer Nachwahl kräftig an den verhandelnden Stadträten.

Doch „die Zeit der Privilegien“, erkennt Johannesburgs-Manager Davidson, „ist vorbei. Wir stecken in einer neuen Ära.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen