: „Schuld an allem sind die Russen“
Der Vorsitzende der aserbaidschanischen Volksfront träumt von eigener Armee und englischem Parlamentarismus ■ Aus Baku Ömer Erzeren
Der 54jährige Historiker und Orientalist Abulfez Elcibey ist im wörtlichen Sinne ein Nationalheld der Aserbaidschaner. Nach dem Fall des aserbaidschanischen Präsidenten Ayas Mutalibov ist Abulfez als unumstrittener Vorsitzender der „Volksfront“ zweifelsohne die politisch wichtigste Persönlichkeit. Der Nationalist, von der überwältigenden Mehrheit der aserbaidschanischen Bevölkerung gefeiert, hegt allerdings keine Ambitionen, Schaltstellen der politischen Macht zu besetzen. Er bleibt der „Vordenker“, der Ideologe der Bewegung. Abulfez wurde als nationalistischer Denker von den Sowjets verfolgt und mußte mehrere Jahre im Gefängnis und im Steinbruch verbringen. 1989 gründete er illegal die Volksfront, die den zivilen Widerstand gegen den Parteiapparat organisierte. Unmittelbar nach dem De-facto-Sturz Mutalibows am Sonntag wurde mit der Säuberung des Staatsapparates von den alten Apperatschiks begonnen. In einer einstündigen Ansprache im aserbaidschanischen Fernsehen kündigte Abulfez die Teilnahme von Volksfrontvertretern am „Übergangsstaat“ und alsbaldige Wahlen an. Danach soll sich die „aserbaidschanische Nation eine Verfassung geben“.
In seinem Arbeitszimmer im Gebäude der Volksfront erklärte Abulfez der taz, wie er sich die Zukunft seines Landes vorstellt und wer seiner Meinung nach die Schuldigen für den Völkerkonflikt in Nagorny-Karabach sind. „Die Übergangsregierung muß ihre ganze Kraft auf die Lösung des Berg-Karabach Problems konzentrieren, weil es den inneren Demokratisierungsprozeß in Aserbaidschan verhindert.“ Der neuen Administration fielen drei zentrale Aufgaben zu: Bildung einer nationalen Armee, Wahrung der aserbaidschanischen Grenzen und Schaffung einer nationalen Währung. Den Konflikt um Berg- Karabach begreift Abulfez nicht als armenisch- aserbaidschanischen Konflikt, sondern als Folge des „russischen Imperiums“.
„Wer die Völker hier im Kaukasus aufeinander hetzt, sind die Russen. So war es auch in Hocali. Die Hauptverantwortung liegt bei der 366. Division, die in Stepanakert stationiert ist. Die Russen massakrieren und dann sagen sie, die Armenier waren es. Auch der Bürgerkrieg in Georgien und der Sturz Gamsachurdias sind von Rußland initiiert, weil Gamsachurdia aus der GUS ausscheren wollte.“
Nach Meinung von Abulfez trägt das KGB die Schuld für die ethnischen Konflikte. „Sie haben versucht in Georgien Konflikte zwischen Aserbaidschanern und Georgiern zu schüren. Aus Moskau ermunterten sie die Aserbaidschaner, in Georgien Autonomie zu fordern. Wir haben durch Gespräche den Konflikt verhindert. Doch die Russen fingen gleich bei den Aseten und den Abazen an. Das Ergebnis: Ein Bürgerkrieg zwischen georgischen Bürgern.“
Abulfez glaubt, daß erst nach einem Abzug der Russen aus dem Kaukasus Frieden in der Region einkehren wird: „Ich bin der festen Überzeugung, wenn die Staaten des Kaukasus wahre Unabhängigkeit erlangen und eigene Armeen haben, wird das Morden hier ein Ende nehmen. Rußland sagt, es will den Konflikt in Berg-Karabach lösen. Dabei sind sie doch schon seit 170 Jahren am Drücker. Sollen sie doch im eigenen Haus kehren. Sollen doch den Konflikt zwischen Balkaren und Tataren, zwischen Tschetschenen und Inguisen lösen. Aber nein. Teile und herrsche ist die Poliktik des russischen Imperiums.“
Abulfez ist gegen jede ausländische Intervention im Kaukasus. Auch die Türkei, in den vergangenen Wochen praktisch Alliierter der Aserbaidschaner in der internationalen Politik, müsse sich aus dem Kaukasus raushalten. Doch Spitzengespräche zur Konfliktlösung unter Beteiligung von Nachbarstaaten — ausgenommen Rußland — steht er aufgeschlossen gegenüber. „Ein Gespräch unter Beteiligung Armeniens, Aserbaidschans, der Ukraine und der Türkei wäre von Nutzen. Die Ukraine und die Türkei sind Nachbarstaaten. Es ist gut, daß die Ukraine eine christliche und die Türkei eine moslemische Bevölkerung hat.“
Voller Abscheu spricht Abulfez von Kräften, die angeblich scharf darauf sind, Religionskriege anzuzetteln. „Wir kennen die Katastrophe, in die die Fundamentalisten Algerien geführt haben. Wir kennen die Barbarei im Iran, den heiligen Krieg unter moslemischer Flagge. Hinweg mit diesen orientalischen Despotien. Die orientalischen Despotien gehören auf den Müllhafen der Geschichte.“
Albulfez Vision ist ein bürgerlicher, demokratischer Staat: „Wir brauchen einen Parlamentarismus, wie in Frankreich oder England. Doch hohle Worte reichen nicht aus. Es bedarf wirklicher demokratischer Verhältnisse, es bedarf demokratischer Alltagskultur. Es bedarf einer Regierung, die vom Parlament gewählt ist, die vom Volkswillen getragen wird. Einer Regierung, die demokratische Spielregeln respektiert. Einer Regierung, die zurücktritt, wenn sie nicht mehr von der Mehrheit getragen wird.“
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