Geringer Strafrabatt für Werner Lotze erwartet

Revisionsverfahren gegen RAF-Aussteiger Werner Lotze/In erster Instanz trotz Kronzeugenregelung zu zwölf Jahren verurteilt  ■ Aus München Bernd Siegler

Mit Leibesvisitationen und dem Ablichten der Ausweispapierre sämtlicher Besucher begann gestern das Revisionsverfahren im Falle des RAF-Aussteigers Werner Lotze vor dem 6. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landgerichts in München. Verhandelt wird über einen Strafnachlaß des 40jährigen Ex-RAF- Mitgliedes, der im Juni 1990 in der ehemaligen DDR festgenommen worden war.

In der Erstinstanz war Lotze trotz seiner Aussagebereitschaft, seiner Abkehr von der RAF und der Zubilligung der Kronzeugenregelung wegen Mordes, vierfachen Mordversuchs und zweifacher räuberischer Erpressung zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) sprach Lotze jedoch im Falle eines versuchten Mordes frei und verwies den Fall wieder zurück nach München. An die grundsätzliche Wertung zur Anwendung der Kronzeugenregelung hat sich der BGH nicht herangetraut.

In seinem Urteil vom 31. Januar 1991 hatte der 3. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landgericht dem im Sommer 1979 aus der RAF ausgestiegenen Lotze zwar die Kronzeugenregelung zugebilligt, jedoch den Wert seiner Aussage für die Verhinderung zukünftiger Straftaten als zu gering erachtet, um einen höheren Strafnachlaß zu rechtfertigen. Lotze hatte nach seiner Festnahme in der DDR ein umfassendes Geständnis abgelegt und sich selbst schwer belastet. So hätte man ihm ohne seine Aussagen eine Beteiligung an einer Schießerei in Dortmund im September 1978, in deren Verlauf ein Polizist getötet worden war, seine Teilnahme an einem Banküberfall in Darmstadt und an dem gescheiterten Anschlag auf Alexander Haig nicht nachweisen können.

Obwohl Bundesanwalt Wolfgang Pfaff damals im Zeugenstand betont hatte, daß Lotzes Aussagen von „außerordentlicher Bedeutung für die Terrorismusbekämpfung“ gewesen wären, wollte der 3. Strafsenat von einer großzügigen Kronzeugenregelung nichts wissen. Der Vorsitzende Richter Brießmann stellte in seiner Urteilsbegründung klar, daß die „kriminalpolitische Wirkung“ kein vorrangiger Zweck der Kronzeugenregelung sein könne. Die „Schwere der Schuld des Kronzeugen“ hätte vielmehr maßgeblichen Einfluß auf die Höhe der Strafe. „Jede übertriebene Barmherzigkeit gegenüber dem Täter wird zur Ungerechtigkeit gegenüber dem Opfer“, rechtfertigte Brießmann das harte Urteil.

Scharfe Kritik an dem Urteil äußerten nicht nur der inzwischen verstorbene Hamburger Verfassungsschutzpräsident Lochte oder Bundesjustizminister Kinkel und der BKA-Präsident Zachert, sondern auch die Bundesanwaltschaft. Sie ging sofort nach dem Urteil in Revision, da das bayerische Gericht mit seiner Strafhöhe noch um drei Jahre über dem Antrag der BAW hinausgegangen war. Nach dem Eingang der schriftlichen Urteilsbegründung bekam die BAW jedoch kalte Füße, erklärte, die Münchener Entscheidung sei „wasserdicht“, und übte auf Lotze Druck aus, einem Verzicht auf den Gang nach Karlsruhe zuzustimmen. Lotze lehnte ab. Daraufhin entschuldigte sich die BAW bei den Richtern, daß die Revision wegen der „Weigerung des Angeklagten“ nun doch stattfinden müsse.

Genauso halbherzig urteilte dann auch der BGH im Oktober 1991. Er entschied, daß die Münchener Richter die Kronzeugenregelung korrekt angewendet hätten. Im Falle eines zweiten Mordversuchs an einem Polizisten sprachen sie Lotze jedoch frei und verwiesen den Fall zu einer neuen Gesamtstrafenbildung wieder zurück nach München. Für Lotze ein schwacher Trost.

Werner Lotze, dem selbst die Erstinstanz in München zugebilligt hatte, „in hohem Maße schuldeinsichtig und sozial völlig eingegliedert“ zu sein, sowie „günstige Voraussetzungen für ein rechtstreuen Leben“ zu bieten, kann vor dem 6. Strafsenat nur mit einem geringen Strafnachlaß rechnen. Bislang erschöpfte sich das Revisionsverfahren in einem mehrstündigen Verlesen der vorherigen Urteile.