Auch eine Art der Enthistorisierung

■ »Hitlerjunge Salomon« und andere Dramatisierungen der Shoah bei den »Jüdischen Lebenswelten«

Noch bis zum 22. April zeigt das Arsenal im Kinosaal des Martin-Gropius-Baus von Mittwoch bis Sonntag um 20 Uhr jüdische Filme aus verschiedenen Ländern. Ein Teil der Filme wird im Arsenal wiederholt. Jeden Mittwoch stellen wir hier eine Auswahl vor.

Von den heftigen Debatten, die seinerzeit von der Fernsehserie Holocaust ausgelöst worden waren, befaßt sich ein Teil auch mit der Frage, inwiefern Dramatisierung und anrührende Inszenierungen der Shoah überhaupt zulässig seien. »Visualisierung des Unvorstellbaren ist unmöglich, jeder Versuch bagatellisiert das Grauen«, sagten die einen, die anderen vertraten die Position: »Hauptsache, ein Massenpublikum kann für das Thema gewonnen werden, egal wie.« Diese Diskussion wiederholt sich jetzt in gewisser Weise anläßlich der Ausstellung. Vor allem im Filmprogramm läßt sie sich wie nirgends sonst nachvollziehen.

Speziell diese Woche werden wichtige Varianten des filmischen Umgangs mit der Shoah gezeigt. Die holländische Regisseurin Barbara Meter untersucht in ihrem Film Der Abstand zur Nähe (1982) die Struktur der Erinnerung selbst. Es geht um ihre persönliche Erinnerung an die Zeit, als sie mit ihren Eltern aus Deutschland nach Asterdorp geflohen war, eine Art Getto in Amsterdam. Ein roter Kreisel ist in dieser Erinnerung genauso wichtig wie die belauschten Gespräche der Eltern über Verhaftungen von Freunden — Erinnerung hat eine eigene, schwer ergründbare Hierarchie. Zwischen den Bildern wird es manchmal schwarz — Erinnerung ist lückenhaft — einige Bilder wiederholen sich, sind dem Film wie ein Refrain eingeschrieben: das Abendgebet bei der christlichen Familie, bei der Sonja untergekommen ist, das Gebadetwerden im Flur in einer Zinkbadewanne, der Blick des Vaters vor der Verhaftung. Nach der Trennung von den Eltern bleibt der Film schwarzweiß — eine schlichte Art, Verlust zu versinnbildlichen (Donnerstag abend).

Einen Vergleich amerikanischer und deutscher Darstellungsformen kann man am Freitag anstellen, wenn man sich nach dem Besuch der Ausstellung »Unser einziger Weg ist die Arbeit — Das Getto in Lodz 1940-44« den Film Lodz Ghetto von Adelson/Taverna (USA 1988) ansieht (ausnahmsweise: 17 Uhr). Das gilt um so mehr, als zum Teil die gleichen Dokumente benutzt wurden: Farbfotografien von Straßenszenen, deren türkisblauer Himmel über den verfallenen Dächern und dem buckligen Kopfsteinpflaster eine gespenstische Schönheit hat; Porträts von Gesichtern hinter Zäunen (Lodz war viel abgeschnittener vom Rest der Stadt als das Warschauer Getto), brüchige Filmaufnahmen von der ersten öffentlichen Hinrichtung und immer wieder Chaim Rumkowski, der Leiter der jüdischen »Selbstverwaltung«, der in vorauseilendem Gehorsam Selektionen und Bestrafungen an Juden vornahm, um Schlimmeres zu verhüten — ein durch die Situation Verkrüppelter, ein Monster der Geschichte.

Während die Ausstellung genau auf die Spezifika des Gettos hinweist — die immense Produktivität, die erratischen Entscheidungen der Bürokratie, das Nachtleben, den Unterricht, das religiöse Leben, den Haß der Jugendorganisation auf Rumkowski und vor allem das Zustandekommen der Dokumente selbst —, arbeitet der Film mit Schauspielern und Dramatisierungen, in erster Linie aus Tagebüchern (Chaim Rumkowski wird von Jerzy Koszinski gespielt, der Schriftsteller, der in Lodz seine Eltern verlor). Der Effekt davon ist, daß die stummen Blicke der sich durch die Straßen Schleppenden »beredt« zu werden scheinen. In der Ausstellung dagegen kommen einige der 800 Überlebenden selbst zu Wort — in Videos. Auch Tagebücher und Chroniken liegen aus. Es handelt sich also nicht um kühle deutsche Wissenschaftlichkeit, die gegen amerikanisches human interest steht, sondern um ein mehr oder weniger begründetes Vertrauen in die Vorstellungskraft des Betrachters.

Schließlich wird am Sonntag abend Agnieska Hollands Hitlerjunge Salomon gezeigt, ein Film, dessen Rezeptionsgeschichte mindestens ebenso interessant ist wie er selbst. Wieder stößt die amerikanische Begeisterung für eine flott inszenierte Charakterstudie (postmodernes Identitäts-Fiasko!) auf deutsche Ablehnung, die bloß ein schlecht balanciertes Melodram am Werk sieht. Erzählt wird die (»wahre«) Geschichte Salomon Perels aus Peine, der, in der Nazizeit von seiner Familie getrennt, im russisch besetzten Lodz in ein Komsomolzen-Lager gesteckt wird, sich nach dem Überfall der Deutschen als »Volksdeutscher« ausgibt, um schließlich nach Kriegsende beinahe in einem befreiten KZ als Wehrmachtsscherge erschossen zu werden. Zu den interessantesten Interpretationen dieser Pikareske gehört die der Filmkritikerin Gertrud Koch. Sie versteht den Film als eine Allegorie auf die Situation der osteuropäischen Länder zwischen zwei Totalitarismen. Mir scheint das ständige Umkreisen des beschnittenen Zutzels des Protagonisten, auf den schwule Offiziere, dickbusige Nazi- Walküren und blondbezopfte BDM- Mädels gleichermaßen fliegen, eher eine Deutung des Faschismus als Überdruckventil verschwitzt-verklemmter Sexualität zu sein — mit den Zuchtanstalten als verkappten Bordellen. Auch eine Art der Enthistorisierung. Mariam Niroumand