piwik no script img

KOMMENTAROpferrolle abgelegt

■ DDR-Vertragsarbeiter nehmen ihre Sache in die Hand

Unauffällige Opfer sind sie schon zu lang gewesen. Den Vertragsarbeitern aus sozialistischen Zeiten ist seit der Wende auf vielfältige Weise klargemacht worden, wie wenig gern sie hier gesehen werden. Die einst ausdrücklich eingeladenen Menschen aus Mosambik oder Vietnam sind arbeitslos gemacht worden, sind Zielscheibe alltäglichen Rassismus oder auch Opfer von brutalen Überfällen. Die Unterkünfte in ihren Wohnheimen werden gekündigt — nicht, daß man den überteuerten und viel zu kleinen Zellen nachtrauern müßte. Aber anderer Wohnraum ist für sie noch schwerer zu finden. Die Brutalität, die sie von ihrer deutschen Umwelt erfahren, ist dabei nur der Spiegel der behördlichen Ignoranz, mit der das Schicksal von derzeit noch weit über zehntausend Menschen im Einigungsvertrag mit einem Paragraphen zu einem nichtexistenten Problem gemacht wurde.

Um den Vertragsarbeitern immer mehr von der Luft zum Leben zu nehmen, ihre Situation immer auswegloser erscheinen zu lassen, gehörte nicht viel. Sie waren dankbare Opfer — duldsam und still. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät, haben die Vietnamesen, die den Großteil der noch anwesenden Vertragsarbeiter stellen, einige der Spielregeln der westdeutschen Gesellschaft gelernt. Es ist den Vietnamesen bewußt geworden, daß es keine Obrigkeit gibt, die sich um ihr »Bestes« sorgt — das müssen sie selbst tun. Je stiller man hält, desto eher wird man Opfer. Mit der Gründung eines Vereines treten sie ihrer Vereinzelung entgegen, begehren sie dagegen auf, nur ein begrenztes Lebensrecht bis zum Ende ihrer Vertragszeit zu besitzen. Senat und Bundesregierung müssen deshalb endlich nach verträglichen Lösungen für diese Menschen suchen, die auch deren Geschichte als Gäste in Deutschland anerkennt. Notwendig ist dies in jedem Fall: Schließlich muß den Behörden klar sein, daß die Vietnamesen wegen der politischen Verhältnisse in ihrem Heimatland auf jeden Fall einen Asylanspruch haben. Gerd Nowakowski

Siehe Bericht Seite 28.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen