Eine Arche Noah zwischen den Mietskasernen

■ Auf fünf Bauernhöfen können Kinder inmitten von Mauern und Verkehrslärm Hausschweinen ganz tief in die Augen schauen und sich ganz wie auf dem Lande fühlen/ Teilweise müssen die Inseln der Natur seit Jahren um ihre Existenz bangen

Berlin. Der Misthaufen stinkt fast so wie auf einem richtigen Bauernhof. Ansonsten erinnert der Ort mehr an eine Ecke der Arche Noah: »Von allen Tieren je ein Paar, Männchen und Weibchen«, empfahl bereits der Allmächtige — der Platz, auf dem eine möglichst breite Artenvielfalt untergebracht werden sollte, war dort wie hier begrenzt.

Jedoch nicht um die Rettung der Tiere vor der gottgesandten Überflutung geht es den Betreibern des Kreuzberger Kinderbauernhofes am Leuschnerdamm, sondern darum, den Kindern des äußerst naturarmen Bezirks das Erleben von ganz ordinären Hausschweinen, Hühnern, Ziegen, Pferden und anderen Hoftieren zu ermöglichen. Hier wie auch auf den vier anderen Berliner Kinderbauernhöfen kann der Nachwuchs den Umgang mit Tieren und so ganz nebenbei verantwortungsvolles und soziales Handeln lernen.

Die Kinder, die sich auf diesem Stückchen Erde zwischen Leuschnerdamm und Adalbertstraße tummeln, sind sichtlich begeistert von dieser Möglichkeit. Gerade haben sie gemeinsam die Eier gebraten, die die Hühner (von denen gibt es doch mehr als zwei) ihnen netterweise abgetreten haben. Sie unterstützen nach Kräften die festangestellten — dem Senat war das Projekt immerhin anderthalb feste Stellen wert — und ehrenamtlich arbeitenden Erwachsenen. Selbst fürs Ausmisten finden sich regelmäßig junge Fachkräfte.

»Ich mach' das gerne«, erklärt ein dreizehnjähriges Mädchen, »jeden Samstagmorgen mal so richtig ackern, und hinterher dürfen wir dann reiten.« Die vier Westberliner Kinderfarmen haben mittlerweile alle ihr zehnjähriges Jubiläum hinter sich, sind mit ihren jeweiligen Bezirken eng verflochten. Viele Kinder sind bereits mit »ihrem« Hof großgeworden und fühlen sich ihm auch später noch verbunden. »Wir haben zum Beispiel hier überhaupt keine Probleme mit Jugendgangs«, erzählt Eva vom Mauerplatzhof, »die haben früher als Kinder hier gespielt und passen auf, daß hier nichts zerstört wird.«

Deren Mütter haben in der Anfangsphase den Kinderbäuerinnen erst einmal gezeigt, wie Schafe und Ziegen gemolken werden und wie die Wolle gezupft wird. Noch immer kommen sie hierher, um Essen für die Tiere zu bringen und Wolle abzuholen. Der Hof der, wie die inoffizielle Ortsbezeichnung schon sagt, direkt am ehemaligen Grenzstreifen gelegen ist, hat auch seit der Maueröffnung einen regen Ansturm aus Berlin-Mitte. Zwischen Schafen und Ziegen kann hier deutsch-deutsch- türkische Verständigung geprobt werden.

Fragt sich nur, wie lange noch. Denn der natürliche Standort für Kinderbauernhöfe ist die Planungslücke, und eben diese soll in diesem Fall nun geschlossen werden. Eine Grundschule und eventuell eine Kindertagesstätte werden möglicherweise bald — wenn es nach dem Willen der zuständigen Kreuzberger Planungsbehörde geht — die Tiere und Kinder von der Wiese drängen. Übrig bleibe dem Bauernhof dann nur noch ein völlig schattiges und entsprechend vegetationsarmes Eckchen zwischen drei Häuserfronten.

Dies würde, so Eva, das endgültige Aus für die seit jeher bedrohte Enklave bedeuten. Sie hofft, daß heute nachmittag um 17 Uhr möglichst viele UnterstützerInnen ins Rathaus Kreuzberg (Zi. 2051) kommen. Dort soll in einer öffentlichen Sitzung mit allen an der Planung Beteiligten beziehungsweise von dieser Betroffenen über das weitere Schicksal der »Planungslücke« beraten werden.

Auch der Kinderbauernhof an der Luxemburger Straße im Wedding hat Unterstützung momentan bitter nötig: Ihn zu verdrängen, haben sich findige Politiker eine ganz besondere Taktik einfallen lassen.

Sie regten das Weddinger Gesundheitsamt dazu an, eine Nutzungsrecherche zu erstellen. Diese ergab dann auch prompt, daß Anfang dieses Jahrhunderts eine kontaminationsverdächtige provisorische Schmiede auf diesem Gelände gestanden hat — Grund genug für das Jugendamt, den benachbarten Abenteuerspielplatz zu schließen sowie dem Bauernhof eine Schließung anzukündigen und die Mitarbeiter zu verpflichten, die Eltern auf die Gefahr aufmerksam zu machen.

Eine Anfrage der »Kinderbauern« beim Gesundheitsamt ergab dann jedoch, daß dieses nicht die geringste Ahnung hat, ob Schadstoffe, und wenn ja, welche, im Erdreich vorhanden sind. Eine Bodenanalyse soll bis zum 20. März Klarheit bringen. »Bis dahin ist aber möglicherweise unser Hof in Verruf geraten«, mutmaßt Rainer, einer der Mitarbeiter. Kürzlich kam bereits einer der Knirpse zu ihm und fragte, ob es stimme, daß der Spielplatz Aids hat.

Vergleichsweise erträglich sind die derzeitigen Probleme des Kinderbauernhofs auf dem Görlitzer Bahnhof. Sie sollen »nur« verschoben werden. Diese Zwangsverlagerung würde jedoch den Verlust ihres mühsam angelegten Gartens samt Obstbäumen und eines kleinen natürlichen Wäldchens bedeuten. Diese kommen im Konzept derer, die »gestaltete Naturlandschaften« anstreben, offenbar nicht vor und sollen demnächst einer Wiesenmulde weichen. Die Kinderbäuerin Astrid ist damit überhaupt nicht einverstanden, nicht zuletzt deshalb, weil diese Aktion den jetzigen Dorfmittelpunkt des Hofs (mit Häuschen und Pergola) völlig an den Rand drängen würde.

Alle, die auf eine erweiterte Wiesenmulde verzichten können und den Hof in seiner ursprünglichen Form erhalten wollen, sind aufgefordert, diesen an den drei auf den 21. März folgenden Wochenenden mit Rat und Tat (sprich: Hammer und Spaten) zu unterstützen.

Daß der Protest von »unten« kommen muß, zeigt ein Telefonat mit der zuständigen Senatsverwaltung (Frauen, Jugend, Familie). Dort wird zwar guter Willen, aber gleichzeitig ein schlechter Informationsstand signalisiert. Von den drei Konfliktfällen hat man bisher dort noch nichts mitbekommen. Die Stelle, die eigentlich für die Kinderbauernhöfe in West-Berlin zuständig wäre, darf zur Zeit nicht neu besetzt werden. Sonja Schock