: Krieg der Handtaschen
Pedro Almodovars neuer Film „High Heels“ ■ Von Christiane Peitz
Die eine trägt ein rotes Kostüm (Armani), die andere ein weißes (Chanel). Die eine bevorzugt weiße Handtaschen (auch Armani), die andere rote (auch Chanel). Die eine ist Chansonsängerin, die andere Nachrichtensprecherin: beide beherrschen die Kunst des Verstellens, tragen Stöckelschuhe (high heels) und lieben denselben Mann. Sie sind Mutter und Tochter. Becky und Rebeca. Marisa Paredes und Victoria Abril. Ein Zweikampf, der tödlich enden wird. Für den Mann.
Es gab eine Zeit, da war Almodovar unmoralisch. Erlaubt war alles, was glücklich macht. Und zwar die Frauen. Das bescherte der Filmgeschichte ein paar hinreißende Hysterikerinnen, exzentrischen Liebeskummer, souveräne Gewinnerinnen im Krieg der Geschlechter — und ein paar wunderbare Sexszenen. Der spanische Regisseur galt als der Mann, der die Frauen liebte. Eine Ausnahmeerscheinung: Welcher Mann macht sich schon Gedanken über das Glück des anderen Geschlechts und das auch noch öffentlich? Dagegen Almodovars Männer: lauter jämmerliche, tragikomische Gestalten, zappelnde Marionetten an den Fäden der Frauen. Ein Sachverhalt, der sich gewissermaßen nebenbei ergab. Auch daß Filme wie Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs oder Matador oder Das Gesetz der Begierde so bonbonbunt und modisch schrill gerieten, war eher Nebensache.
Mittlerweile hat Almodovar die Nebensache zur Hauptsache gemacht: High Heels ist vor allem ein Krieg der Modeschöpfer. Armani gegen Chanel. Rot gegen weiß. Kein Wunder, daß der Staatsanwalt bei der Ermittlung des mysteriösen Mords vor allem mit der Frage beschäftigt ist, ob der Pyjama des Opfers aus roter Seide oder kirschfarbenem Satin bestand.
Auch die katholische Moral, gegen die Almodovar in den 80er Jahren so gern polemisierte, hat sich durch die Hintertür längst wieder eingeschlichen. Sein umstrittener Film Atame (Fessle mich!) sollte zwar in den USA als Porno eingestuft werden, lieferte aber gleich ein doppeltes Happy-End: Das vermeintliche Sado-Maso-Pärchen landet glücklich im Hafen der Ehe, und Amerikas Sittenwächter erfanden prompt eine neue Beurteilungskategorie für künstlerisch wertvolle Leinwanderotik.
Und nun High Heels: Männermord und Frauenintrige — all das dient auch hier dem Familienglück. Tochter Rebeca ruft die karrieresüchtige Becky zur Raison, sprich: zur Mutterpflicht. Daß die Damen sich zwischenzeitlich die Krallen zeigen, dient am Ende nur der Versöhnung. Von der Femme fatale zur Fürsorgerin: Liebe deine Kinder wie dich selbst. Das Gesetz der Begierde? Hat ausgedient.
Selbst der Transvestit Letal, der Rebeca in der Garderobe (!) mit akrobatischem Geschick nachstellt und verführt, entpuppt sich schließlich als doppelte Projektion. Als Transvestit imitiert Letal den Star Becky — Rebeca treibt es also im Grunde mit der Mutter —, und als Mann wird er nicht nur beweisen, daß Rebeca keine Schuld trifft, sondern mit ihr auch eine Familie gründen. Wie langweilig, daß soviel Turbulenz doch immer nur dem einen dient: der Wiederherstellung der bürgerlichen Ordnung.
Dabei hätte es ein wunderbarer Film werden können, ein Film über das Schauspielen.
Victoria Abril spielt die Tochter, die der Mutter das Unschuldslamm vorspielt. Marisa Paredes spielt Becky, die der Tochter die Rabenmutter mit schlechtem Gewissen vorspielt. Ihre Beichten, Aussprachen und Geständnisse: alles Theater. Tränen, Wut und Zärtlichkeit: alles Posen. Sie können gar nicht anders. Ihr Metier ist der Auftritt, und der Beruf bringt es mit sich, daß die Zurschaustellung der Gefühle mit den Gefühlen identisch ist. Beide lieben das Schweinwerferlicht, Becky auf der Bühne, Rebeca im Fernsehstudio. Und wenn das Publikum fehlt, liefern sie sich eben gegenseitig eine Szene. Im Gerichtssaal zum Beispiel, vor leeren Bänken und ohne Richter. Sie schreien sich an, zetern und toben — und dann gehen sie ab, erschöpft und zufrieden, als fiele ein Vorhang. Zwei Diven im Clinch. Folgt der letzte Akt: Showdown am Sterbebett. Große Oper zu zweit — auch der Tod ist eine Pose.
Ursprünglich wollte Almodovar einen Kurzfilm drehen. Eine Nachrichtensendung, die Sprecherin vermeldet einen Mord, weicht vom Text ab und gesteht, sie selbst sei die Mörderin. Zieht Fotos aus der Handtasche, betrachtet sie, beschreibt das Fotografierte: nicht das Opfer, sondern das Inventar des Tatorts. Sie wird traurig, sagt, daß sie den Mann geliebt habe. Sie liebe ihn immer noch. Und sie sei jetzt sehr einsam. Die Techniker, der Regisseur, alle lauschen gerührt. Auch die Mutter, zu Hause vorm Bildschirm. Victoria Abril macht aus der TV-Szene ein Bravourstück: Eine Frau fällt aus der Rolle; das Stocken, der spontane Griff zur Handtasche, der Augenaufschlag: perfekt inszenierte Intimität. Eins zu Null für Rebeca. Aber dann, als die Tochter bereits im Gefängnis sitzt, ist es die Mutter, die auf dem TV-Bildschirm erscheint. Ein Chanson-Abend, eine Träne im Knopfloch, Rebeca gewidmet, die Massen toben. Ausgleich für Becky.
Die Frauen im Gefängnis trösten Rebeca. Lauter schräge Vögel, Powerfrauen, Flippies, Emanzen, Sünderinnen — jede ein Star. Im Hof legen sie eine Ballettnummer hin: der Frauenknast als Aerobic-Center. Nicht Schauspiel, sondern Show. Billige Massenware. Wegen solcher Gags hat Almodovar seinen Kurzfilm zu einem konventionellen Langfilm gestreckt. Die Abweichung ist ihm bloß ein Umweg zur Norm. Schließlich ist auch der Trost eine katholische Spezialität und kollektive Gymnastik eine Art Religionsersatz.
Pedro Almodovar: High Heels. Kamera: Alfredo Mayo, Musik: Ryuichi Sakamoto, mit Victoria Abril, Marisa Paredes, Miguel Bose, Spanien 1991, 113 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen