: Bigotterie
■ Deutschland setzt Chile wegen Honecker unter Druck
Bigotterie Deutschland setzt Chile wegen Honecker unter Druck
Es ist von Ehre und Moral die Rede. Ein CSU- Staatssekretär spricht von Beleidigung der deutschen Justiz, und ein Hinterbänkler der CDU fordert sogar die Einstellung der deutschen Entwicklungshilfe, um der „verlogenen Humanitätsheuchelei“ der Chilenen ein Ende zu setzen. Doch man kann es der christdemokratischen Regierung in Santiago kaum verdenken, daß sie sich im Fall Honecker windet, so gut es eben geht. Weshalb sollte sie wegen eines ausländischen Diktators eine Kabinettskrise riskieren, wo sie es doch nicht wagen kann, den eigenen Ex-Diktator vor die Schranken der Justiz zu bringen? Wie sollten die sozialistischen Koalitionspartner in Chile sich für die Auslieferung Honeckers verwenden, bei dem sie in den dunkelsten Jahren der Diktatur Schutz vor Pinochet gefunden haben, während dieser weiterhin die Armee kommandiert?
In Chile sucht man pragmatische Lösungen, während in Bonn nun auf Prinzipien gepocht wird, als ob schon immer Moral und die Durchsetzung hehrer Rechtsgrundsätze die Leitlinie deutscher Außenpolitik gewesen wären.
Die Empörung in Bonn könnte auf mehr Verständnis in Chile hoffen, wenn deutsche Regierungspolitiker, die nun den zivilen Präsidenten Chiles unter Druck setzen, seinem militärischen Vorgänger anders begegnet wären. Man mag einwenden, die deutsche Politik habe sich nicht um Gerechtigkeit im fernen Chile zu sorgen, sondern müsse sich um deutsche Belange kümmern und den deutschen Opfern Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wann aber ist sie ihrer Fürsorgepflicht gegenüber den deutschen Gefangenen in der Colonia Dignidad resolut nachgekommen? Wann hat sie Boliviens Militärdiktatur unter Druck gesetzt, um den deutschen Kriegsverbrecher Barbie vor die Schranken der Justiz zu bringen?
Es wäre naiv zu glauben, mit dem Ende des Kalten Krieges gäbe es nun neue moralische Maßstäbe in der deutschen Außenpolitik. Nein, diese leitet sich weiterhin wesentlich aus wirtschaftlichen und politischen Interessen her. Dies zeigt der jüngste Empfang für einen chinesischen Spitzenpolitiker nicht weniger als nun der Fall Honecker. Man braucht die juristische Abrechnung mit dem einst pompös empfangenen Staatsmann aus politischen Gründen. Dies erklärt die Arroganz deutscher Politiker gegenüber ihren chilenischen Parteifreunden und auch ihre Bigotterie. Thomas Schmid
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen