: Der Fall Honecker wird heruntergekocht
Aylwin übernimmt die Verantwortung und schickt Sonderbeauftragten nach Moskau/ CDU-Hinterbänkler fordert Einstellung der Wirtschaftshilfe an Chile ■ Aus Bonn Andreas Zumach
„Deeskalation im Fall Honecker“. So lautete gestern die Parole der Regierungen in Bonn wie in der chilenischen Hauptstadt Santiago. Beide Seiten waren sichtlich bemüht, die am Dienstag aufgetretene Verstimmung abzubauen. Auslöser für die Verstimmung waren Vorschläge chilenischer Politiker für das weitere Vorgehen im „Fall Honecker“, die zu heftigen Reaktionen einiger CDU-Politiker führten. Der chilenische Präsident Patricio Aylwin hat inzwischen öffentlich die Verantwortung für den Aufenthalt Honeckers in der Moskauer Botschaft übernommen, sich aber gleichzeitig vor seinen Außenminister Enrique Silva und Botschafter Clodomiro Almeyda gestellt, die von deutscher Seite hart kritisiert worden waren.
Bonns Regierungssprecher Vogel teilte gestern nachmittag vor der Bundespressekonferenz mit, am Morgen habe der chilenische Botschafter in Bonn, Carlos Hunneeus einen Brief seines christdemokratischen Präsidenten Patricio Aylwin an Helmut Kohl im Kanzleramt abgegeben. Der Brief enthalte eine „konstruktive Botschaft“, erklärte Vogel, ohne nähere Einzelheiten bekanntzugeben. Offensichtlich halte die Regierung in Santiago „eine Neubewertung der Angelegenheit für möglich“. Die Bundesregierung habe keinen Zweifel, daß Präsident Aylwin „den Fall Honecker einer Lösung zuführen“ wolle.
Von der Pressekonferenz wurden auch nähere Informationen über die Aufgabe einer Sonderdelegation erwartet, die die chilenische Regierung laut einer Ankündigung des sozialistischen Außenministers Enrique de Silva in Santiago zur Untersuchung der Lage Erich Honeckers nach Moskau schicken will. Gestern morgen hatte der chilenische Botschafter in Bonn den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dieter Kastrup, zunächst über die Ernennung des stellvertretenden chilenischen UNO-Botschafters James Holger zum Sonderbeauftragten für den Fall Honecker unterrichtet. Holger soll nach Moskau und dann nach Bonn reisen, um eine Lösung im Tauziehen um Honecker zu erreichen.
Am Dienstag hatte der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Chiles, Ricardo Núnez, vorgeschlagen, den früheren UNO-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar als Vermittler in Sachen Honecker nach Bonn zu schicken. Darüber hinaus verlangten sozialistische Politiker der Regierungskoalition in Santiago Garantien für ein „faires Gerichtsverfahren“ für Honecker sowie den Ausschluß von Gefahren für sein Leben. Außerdem wurde der Vorschlag gemacht, das Verfahren gegen den ehemaligen DDR-Regierungschef nicht vor einem bundesdeutschen Gericht, sondern vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag durchzuführen. Der parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium Eduard Lintner nannte diese Vorschläge in der gestrigen Ausgabe der 'Neuen Osnabrücker Zeitung‘ eine „Beleidigung der deutschen Justiz“ sowie einen „Gipfel der Unverschämtheit“. Die ganze Welt wisse, daß die Bundesrepublik ein „unantastbarer Rechtsstaat“ sei. Die Vorschläge zielten darauf ab, die Überstellung Honeckers in die Bundesrepublik zu verhindern. Der CDU-Abgeordnete Wolfgang von Geldern warf Chile eine „verlogene Humanitätsheuchelei“ vor. Die Regierung in Santiago betreibe „ein Spiel, das völkerrechtswidrig und bewußt gegen Deutschland gerichtet“ sei. Von Geldern forderte den Bundeskanzler auf, die Chile zugesagten 111 Millionen Mark Wirtschaftshilfe so lange zu sperren, „bis die Angelegenheit Honecker geklärt ist und Chile ihn ausliefert“.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Wilfried Penner warnte hingegen die Bundesregierung vor einem zu drastischen Vorgehen. Die Forderung an die Regierung in Santiago, Honecker zum Verlassen der chilenischen Botschaft in Moskau zu veranlassen sei zwar verständlich. Doch es seien Grenzen erreicht, wenn ein anderer souveräner Staat dadurch „in innenpolitische Turbulenzen gerät“. Bonn hatte den Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dieter Kastrup zunächst über die Ernennung des stellvertretenden chilenischen UNO-Botschafters James Holger zum „Sonderbeauftragten“ für den „Fall Honecker“ unterrichtet.
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