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Der Lärm hinter den Kulissen

■ Serie: Berlin vor den Kommunalwahlen (Teil 7)/ Reinickendorf macht durch die Querelen innerhalb der SPD-Fraktion auf sich aufmerksam/ SPD und CDU mit Abgrenzungsschwierigkeiten

Reinickendorf. Laut ist es in der Nähe des Rathauses Reinickendorf. Wenn der Wind günstig steht, werden die Geräuschfetzen vom nahegelegenen Flughafen Tegel herübergeweht und vermischen sich mit dem Verkehrslärm des Eichborner Dammes. Doch auch in dem Plenarsaal wird manchmal der gemächliche Gang der kommunalen Politik beschleunigt und ein härterer Ton angeschlagen. Unter politischen Kontrahenten ist das allemal bekannt und nicht weiter verwunderlich. Spannend wird es meist erst dann, wenn die Kampfhähne einer Partei öffentlich übereinander herfallen. So geschah es bei der stärksten Partei Reinickendorfs, der SPD, auf der vorletzten Bezirksverordnetenversammlung im Februar. Da ließ der damalige SPD-Fraktionsvorstand die Sitzung für eineinhalb Stunden unterbrechen und verlangte die Zusammenkunft des Ältestenrates, um gegen den BVV-Vorsteher vorzugehen. Der Clou: Dieser war selbst SPD-Genosse und sollte abgewählt werden, weil er vor gut einem halben Jahr eine reine SPD-Delegation aus Westdeutschland eingeladen hatte. Ein vordergründiges Spiel, wie Insider hinter vorgehaltener Hand erzählen. Denn der BVV-Vorsteher soll mit anderen Genossen dafür gesorgt haben, daß der damalige Fraktionsvorsitzende Hannes Schneider und sein Stellvertreter Hans-Jörg Becker nicht wieder auf die SPD-Liste für die Bezirkswahlen kamen. Schneider und Becker pokerten auf der BVV hoch — und mußten schließlich gegen den Rest ihrer Fraktion den kürzeren ziehen. Nach ihrer Abwahl aus dem Vorstand traten Schneider und Becker aus der Fraktion aus, blieben aber in der BVV fraktionslose Abgeordnete. Dadurch verlor die SPD ihre einstige Mehrheit im Rathaus und zog mit der CDU (18 Mandate ) gleich. Der neue Fraktionsvorsitzende Gunnar Wolff gibt sich trotz der jüngsten Querelen optimistisch. Die internen Kämpfe hätten keinen Einfluß auf das Wählerverhalten, die Fraktion zeige sich jetzt »wieder geschlossen«. Die Lähmung sei vorbei, konstatiert der 45jährige und setzt vor allem auf die neue, verjüngte Liste, mit der seine Partei antritt. »Ich verspreche mir davon eine starke Bereicherung der politischen Diskussion, die in der Vergangenheit tatsächlich ein wenig geschlafen hat.« Für die CDU ist der neue SPD-Vorstand hingegen Anzeichen eines »Linksrutsches«, wie Michael Thieme erklärt, der für seine Partei auf dem sicheren Listenplatz 17 kandidiert. Der 22jährige wird demnächst wohl einer der jüngsten in der BVV sein. »Um was voranzubringen, kann man nur hoffen, daß sich die SPD wieder zusammenrappelt«, hofft er.

Denn bisher haben sich CDU und SPD in der BVV relativ gut verstanden. »Keine Liebe, aber eine nüchtern-korrekte Zusammenarbeit«, so faßt Wolff die Beziehung der beiden Großen zusammen. In der Tat fällt es schwer, zwischen beiden Parteien scharfe Konturen auszumachen. Beide sind etwa dafür, die vor Jahren gesperrte Ruppiner Chaussee wieder für den Autoverkehr zu öffnen oder die U-Bahn in das Märkische Viertel zu verlängern und einer Straßenbahnanbindung vorzuziehen. Heikler wird es hingegen beim Thema Tegel: Während die SPD damit wirbt, daß bis zum Jahr 2000 auf dem Flughafen eine neue Stadt entstehen könnte (Name: Otto-Lilienthal- Stadt), nennt Thieme dies »eine wissentliche Lüge«. Statt dessen will die CDU zunächst für eine weitgehende Verlagerung nach Schönefeld sorgen. Ein Schnäppchen schlug die CDU der SPD mit ihrer Entscheidung, eine Frau auf Platz 1 ihrer Liste zu nominieren. Die 47jährige Stadträtin für Gesundheit und Umweltschutz, Marlies Wanjura, ist stolz darauf, daß es »bei uns auch ohne Quote geht«. Ihren Schwerpunkt im Wahlkampf soll vor allem dem Thema »Innere Sicherheit« gewidmet sein. Angesichts einer jüngsten Einbruchswelle müsse dem »Angstgefühl der Bürger« begegnet werden.

Ein Thema, das wohlüberlegt scheint. Denn im Vergleich zu Gesamt-Berlin leben im Bezirk überproportional viele ältere Menschen. Außerdem könnten die »Republikaner« wiederum ein ernsthafter Konkurrent werden. Vor allem in der Betonstadt im Märkischen Viertel haben die Reps bei den letzten Wahlen ihre Hochburg gehabt. Fraktionsvorsitzender Guido Pöppel, der 1987 aus der CDU austrat, glaubt denn auch, daß es diesmal »zu einer Denkzettelwahl gegen die Große Koalition« kommen werde. Bekannte Themen wie Wohnungsnot und »Asylmißbrauch« (Pöppel) sollen den Reps helfen, die Marke von über 8 Prozent bei den letzten Wahlen zu halten.

Von den Reps trennt die AL/ Grüne Welten. Eines haben sie jedoch gemeinsam: pro Tagungspunkt hat ihnen die BVV nicht mehr als sechs Minuten Redezeit eingeräumt. »Eine Maßnahme, die einmalig unter den Berliner Bezirken ist«, wie der AL-Fraktionssprecher Oliver Schruoffeneger erklärt. Von einer Zusammenarbeit mit der SPD, auf die die AL zunächst gehofft hatte, war in der auslaufenden Legislaturperiode nicht viel zu spüren. »Vielleicht ändert sich ja was mit der neuen Fraktionsspitze der SPD«, hofft der AL-Politiker. Die Themen umfassen vor allem die Verkehrsprobleme, die sich nach der Öffnung der Mauer in den einst ruhigen Randgebieten des Bezirks enorm verstärkt haben. Gegen den Ausbau von Tegel, die Rücknahme von Tempo-30-Zonen wendet sich die Fraktion ebenso wie gegen die Uferbebauung auf den Heiligenseer Feldern, einem Naturschutzgebiet. Die AL-Fraktion befürchtet zudem in den nächsten Jahren einen verstärkten Nutzungsdruck auf die bisher unbebauten Flächen. Die SPD, auf die man so lange geschielt hat, soll vernachlässigt werden. Sie sei durch die Einbindung in die Große Koalition »kein brauchbarer Bündnispartner«. Severin Weiland

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