: Gesetz mit Zähnen
Washington (dpa) — Bahnbrechendes Urteil des Obersten Gerichts der USA: Schulen müssen die Schülerinnen vor aggressiven Lehrern schützen.
Als Christine Franklin 16 Jahre alt war, begannen die Belästigungen durch ihren Sportlehrer. Immer wieder fragte der Lehrer die Zehntkläßlerin des North-Gwinnet-Gymnasiums in Georgia über ihre sexuellen Erfahrungen aus, immer öfter versuchte er, das Mädchen zu küssen und zum Geschlechtsverkehr zu überreden. Dreimal in jenem Schuljahr 1986/87 holte er sie aus dem laufenden Unterricht, bat die Lehrer, sie zu entschuldigen, brachte sie in ein privates Büro und hatte dort mit ihr Geschlechtsverkehr. Lehrer und Direktor der Schule wußten, was vorging und daß sie nicht das einzige Opfer des Sportlehrers war. Doch niemand unternahm etwas. Die Schülerin zögerte ein Jahr, dann zeigte sie den Lehrer an und verklagte ihre Schule auf Schadenersatz. Das Oberste Gericht der USA ließ die zivilrechtliche Klage Christine Franklins zu und erweiterte damit den Schutz vor sexueller Belästigung in der Schule. Künftig kann jede Schülerin (und jeder Schüler) einer staatlich unterstützten Lehranstalt für sexuelle Belästigung durch Lehrer von der Schule Schadenersatz verlangen. „Das ist ein großer Sieg für die Frauen und Mädchen im ganzen Lande“, betont Marcia D. Greenberger, Vizepräsidentin des Nationalen Frauenrechtszentrums (National Women's Law Center). „Denn dieses Urteil gibt dem Antidiskriminierungsgesetz von 1972 endlich Zähne.“ Das Gesetz verbietet Belästigungen und Benachteiligungen wegen des Geschlechts und wurde in erster Linie zum Schutz von Frauen erlassen. Frauenrechtsgruppen hatten es jedoch einen Papiertiger genannt, weil es den Opfern keine wirksamen Rechtsmittel an die Hand gebe. Diese Einschätzung schien auch der Fall Franklin zu belegen.
Denn bevor das Mädchen ihre Schule verklagte, hatte sie Beschwerde beim Erziehungsministerium eingelegt, der Behörde, die für die Einhaltung des Gesetzes zuständig ist. Zwar bestätigte das Ministerium der Schülerin, daß sie Opfer sexueller Belästigung geworden war, wurde aber nicht weiter aktiv, weil der Lehrer die Schule inzwischen verlassen hatte. Daraufhin zog Franklin vor Gericht. Mit der Entscheidung des Obersten Gerichts werden nun die Schulen gezwungen, für wirksamen Schutz ihrer Zöglinge zu sorgen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollen, große Summen an Schadenersatz zu bezahlen. Die Regierung von Präsident George Bush hatte sich wiederholt gegen eine solche erweiterte Auslegung des Gesetzes gewandt. Die größte Vereinigung von Frauen an Universitäten und Schulen, die American Association of University Women, ist mit dem stärkeren Schutz vor Lehrern noch nicht zufrieden. Sie will erreichen, daß sich der Schutz auch auf sexuelle Belästigung durch Mitschüler bezieht. Sie können sich auf eine Studie berufen, wonach 65 Prozent aller Mädchen im Laufe ihrer Schulzeit Opfer mehr oder weniger schwerer sexueller Belästigungen werden. Die Tendenz sei steigend. Immer wieder berichteten Mädchen, daß sie auch von Klassenkameraden körperlich belästigt würden. „Wenn die Erwachsenen nicht einschreiten, um das zu stoppen, dann entsteht bei Jungen und bei Mädchen der Eindruck, dies sei akzeptables Verhalten“, sagt Anne Bryant von der Vereinigung. Frauke Hunfeld
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen