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Böhmen, auf Sand gebaut

Thomas Langhoff bringt am Berliner Schiller Theater Volker Brauns jüngste Episode „Böhmen am Meer“ zur Uraufführung  ■ Von Sabine Seifert

Wo liegt Böhmen? Schenken Sie Ihrem Atlas kein Vertrauen; die Weltkarte ist unstet geworden, als ob jemand, der stark verkatert ist, mit zitternden Händen darüberstreicht. Die Grenzen verschieben sich laufend. Böhmen ist wie ein kleiner Fleck in der Sonne, der mal hier und mal da aufblitzt. Böhmen ist überall. Shakespeare hat das gewußt: Böhmen am Meer und ein Wintermärchen im Frühling. Volker Braun weiß es besser: Böhmen liegt am Mittelmeer. Und das Meer ist grün statt blau, es hat die Pest, Algen.

Lassen wir das Mittelmeer gelten, Italien, Jugoslawien, da wo Dichter gerne ihren Urlaub verbringen oder sich zum Schreiben zurückziehen und über das Ende der Welten nachdenken; ein Exilland, in dem ein Tscheche, ein Russe und ein Amerikaner aufeinandertreffen. Bestellt, verabredet. Sie heißen Pavel, Michail und Bardolph. Der Ami (Lambert Hamel) und der Russe (Dieter Montag) sehen einer wie der andere aus, Anzugmenschen; nur die bunt gemusterten Hosenträger zeichnen den einen als Vertreter der westlichen Hemisphäre aus. Sie verhandeln ideologische Gemeinplätze, ein Industrieller und ein Apparatschik. Vertreter zweier Welten, die eigentlich zusammengehören und deren Zeit definitiv abgelaufen ist. „Sie kommen aus zwei Welten, die freilich eine sind, die aber unversöhnlich sind, wenn jedem nur die seine gilt, verbohrt, vernarrt, und nichts die andre.“ Das sagt Pavel, der Tscheche (Christian Grashof). Er verkörpert die Dritte Welt, Opfer der Großmächte.

Volker Braun hat sich weit vorgewagt. Böhmen am Meer behandelt Zeitgeschichte, den Zusammenbruch des Sozialismus, der Ost- West-Blöcke; als ob es das entstandende politische Vakuum mit aktuellen Ängsten zu füllen gelte, mengt er ökologische Katastrophe und Fremdenfeindlichkeit auch noch unter: Die Fremden tauchen allerdings tatsächlich als fremde feindliche Welt auf, die Inkarnation des schlechten Gewissens der Satten gegenüber der ausgebeuteten Dritten Welt (zu der der arme Osten auch werden könnte, Braun läßt das offen). Ein Koltèssches Element. Die Hausangestellte heißt Assia und wandelt im Araberlook herum.

Volker Braun hat sich weit vorgewagt und nicht weiter gedacht. Ein Stück, das sich konfus (weil diffus) und schwer lesen läßt und offensichtlich noch schwerer inszenieren. Geschichten werden angerissen und wieder verloren gegeben. Denn die drei Männer haben Frauen und Kinder. Die dienen dann — dramaturgisch gesehen — als Katalysatoren der allgemeinpolitischen Konflikte. Die Weltgeschichte entlädt sich - rein menschlich, versteht sich. Ein bißchen Ibsen, ein bißchen Tschechow, aber schlecht gebaut. Warum war Julia (Jutta Hoffmann), die Ehefrau von Pavel, früher einmal mit Michail und auch mit Bardolph zusammen? Ist Vaclav (ein mit kurzen Hosen zur Kleinkindregression gezwungener Michael Maertens) eigentlich gar nicht Pavels Sohn, sondern Michails? Nur die Geschichte von Michails Tochter Raja (Therese Hämer), die, um auszureisen, den deutschen Physikstudenten Robert heiratete und nun nicht weiß, ob sie ihn deswegen liebt oder nicht lieben darf, wird etwas breiter ausgespielt.

Das Stück ist an solchen Stellen menschelnd trivial, an anderen typisierend allgemein; die Sprache schwankt zwischen beiden Ebenen hin und her, und nur da, wo sie dem surrealen Grundton der Böhmenepisode Rechnung trägt, leuchtet hin und wieder ein gelungener oder gar witziger Dialog auf. Bühnenbildner Volker Pfüller hat die obere Bühnenhälfte mit einem großen hellen Zeltdach ausgefüllt, das später wie ein Segel (die Gestrandeten des Wintermärchens) heruntergelassen wird. Darunter ist der Himmel über dem Wasser zu sehen, der sich mal taghell und mal nachtschwarz einfärbt.

Die Grundstimmung ist traurig, gerade weil das Licht so schön ist, etwa wie in Viscontis Tod in Venedig-Verfilmung. Gestört wird sie nur durch die eingespielten Sphärenklänge, die Endzeitstimmung verbreiten sollen und die langen Pausen noch nervtötender gestalten. Regisseur Langhoff läßt das Schweigen seiner Protagonisten zwischen den Sätzen im Munde perlen, bis es zwischen den Zähnen knirscht. Die Langeweile ist groß. Alle warten. Dann wieder reden zwei auf einmal, zu heftig. Die Kommunikation ist gestört, die Gespräche zerfasern, und selten haben gute Schauspieler wie Christian Grashof oder Jutta Hofmann so abwesend oder neben ihren Rollen stehend gewirkt. Thomas Langhoff hat Volker Braun beim Wort genommen: die Geschichte ist tot, das Theater ein Friedhof. Mitten in den Böhmischen Wäldern.

Volker Braun: Böhmen am Meer. Regie: Thomas Langhoff. Bühne: Volker Pfüller. Mit Christian Grashof, Jutta Hoffmann, Michael Maertens, Lambert Hamel, Dieter Montag, Therese Hämer, Ulrich Noethen, Christiane Leuchtmann. Schiller Theater Berlin. Nächste Aufführungen: 15., 18. und 23.3.

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