: Ende eines Zeitalters
■ Grobritannien wird nach den Wahlen am 9. April ein anderes Land sein
Ende eines Zeitalters Großbritannien wird nach den Wahlen am 9. April ein anderes Land sein
Man muß die politische Geschichte Großbritanniens schon einige Zeit zurückverfolgen, um ein Parallele zu den bevorstehenden Parlamentswahlen am 9. April zu finden. Noch nie seit fast zwanzig Jahren hatte die Labour-Partei, die heute in den Meinungsumfragen führt, solch hohe Siegeschancen; und einen vergleichbar offenen Wahlausgang so kurz vor dem Urnengang wie dieses Jahr hat es auch seit 1974 nicht mehr gegeben. Schon der mögliche Sieg der linken Opposition reicht aus, um diese Wahlen als historisch zu qualifizieren. Er wäre das erste derartige Ereignis in Westeuropa seit Jahren.
Doch auch, wenn die Konservativen zum vierten Mal gewinnen — Großbritannien wird nach dem 9. April ein anderes Land sein. Seit dem Sturz Thatchers im Herbst 1990 hat die politische Klasse Großbritanniens die Vorteile ideologischer Unauffälligkeit entdeckt. Die schrillen Töne neokonservativen oder sozialistischen Weltverbesserungsgetöses wichen einem zentristischen Pragmatismus, der im Bewußtsein des schleichenden britischen Souveränitätsverlustes an das Zwillingspaar EG und D-Mark die Nestwärme des Machbaren zu genießen lernte. In diesem Wahlkampf geht es nicht mehr um Freiheit gegen Sozialismus. Ein mausgrauer John Major und ein blaßrosafarbener Neil Kinnock werfen sich Fadheiten an die Köpfe, die nach der Wahl als Fundament für eine ebenso fade Politik der Kleinstumverteilungen und Minimalreformen herhalten müssen.
Wie zur zeremoniellen Bestätigung dieses Trends wird in Westminster jetzt auch eine ganze Politikergeneration ausgewechselt. Margaret Thatcher stellt sich am 9. April nicht zur Wiederwahl auf, desgleichen die rechtspopulistischen Galionsfiguren Norman Tebbit und Nicholas Ridley, dazu unter anderen Ex-Außenminister Geoffrey Howe und Ex-Schatzkanzler Nigel Lawson — alles Namen, die noch vor zwei Jahren konservative Politik prägten. Auf der Labour-Seite fehlen der ehemalige Außenminister Denis Healey, internationalistisches Aushängeschild der Partei; sein einstiger Ministerialkollege David Owen, der die inzwischen aufgelöste Sozialdemokratische Partei mitgründete; und der 78jährige Ex-Parteiführer Michael Foot, Inkarnation des proletarischen Intellektuellen vergangener Zeiten. Nahezu achtzig derzeitige Parlamentarier sind es, die einer neuen Generation weichen.
Der 9. April bedeutet die endgültige Überwindung der angelsächsischen „konservativen Welle“ der 80er Jahre — um so mehr, als dieselbe Entwicklung auch den Wahlkampf der USA prägt. Aber er steht für mehr: Den Wandel weg von einer insularen, aber durchaus originären Weltsicht hin zum neuen zaghaften Konsens, der Bestehendes von keiner Seite in Frage stellt und sich den bestehenden europäischen Interessenkonstellationen um so bereitwilliger beugt. Dominic Johnson
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