: Iraks Atomzentrum im Visier
■ UN-Sicherheitsrat hält schwere Vorwürfe gegen den Irak aufrecht/ Iraks Vizepräsident Tarik Asis bestreitet alles und verlangt Aufhebung des Embargos/ USA und Großbritannien erwägen Angriff auf Forschungszentrum
New-York/Berlin (taz/ap/wps) — Drei Stunden saß Tarik Asis äußerlich ungerührt am Mittwoch am Ende des langen Tisches im UN-Hauptquartier und hörte sich Vorwürfe der Vertreter des Weltsicherheitsrates an. Die Liste der Vorhaltungen war lang, und die Drohung eines erneuten Angriffes schwebte in der Luft. Nichteinhaltung der Waffenstillstandsresolution, Behinderung und Irreführung der UN-Inspektoren, schwere Menschenrechtsverletzungen und Angriffe gegen die Kurden, mangelnde Entschädigung Kuwaits und die anhaltende Verschleppung von kuwaitischen Bürgern wurden ihm vorgeworfen.
Aus Washington, London und Jerusalem war in den letzten Tagen überdeutlich signalisiert worden, daß über einen erneuten Angriff ernsthaft nachgedacht würde. Dabei dürfte auch für den gewieften Außenpolitiker Asis schwer einzuschätzen sein, wie ernst diese Drohungen gemeint sind. Mehr als 100 US-Kampfflugzeuge stehen noch in Saudi-Arabien, zwei Flugzeugträger kreuzen im Persischen Golf. In den USA und Großbritannien ist Wahlkampf.
In einer 45minütigen Rede versuchte Asis die Beschuldigungen zu entkräften, ging aber auf Menschenrechtsverletzungen überhaupt nicht ein. Kategorisch bestritt er, daß der Irak die UNO-Auflagen umgehen wolle. Sein Land habe 270.000 Objekte, sowie 1.500 Tonnen Rohmaterial vernichtet und die Beschlagnahme 1.000 weiterer Gegenstände akzeptiert. An die Adresse der USA richtete er den Vorwurf, aufgrund des Drucks einer „kleinen aber einflußreichen und tyrannischen Gruppe im Sicherheitsrat“ würden die durch das Embargo verursachten Leiden der irakischen Bevölkerung ignoriert. Diese Argumentation traf bei den chinesischen und indischen Delegierten auf begrenzte Sympathie. Beide riefen anschließend dazu auf, die Sanktionsbestimmungen für Lebensmittel und Medikamente zu lockern.
Asis forderte die vollständige Aufhebung der Sanktionen. Im Gegenzug schlug er vor, daß sich irakische Experten gemeinsam mit der UNO-Sonderkommission und Fachleuten aus den Ländern des Sicherheitsrates zusammensetzen und alle offenen Fragen klären sollten. Amerikaner, Engländer und Franzosen zeigten kein Interesse an solchen „Neuverhandlungen“ und US-Vertreter Pickering bemerkte, die Chancen für eine Aufhebung des Embargos seien „gleich null“. Gestern abend wollte das Gremium Asis noch einmal ausführlich befragen.
Vor allem der Verdacht, der Irak versuche weiterhin, sein Atomwaffenprogramm vor der UNO zu verstecken, nährt Spekulationen über einen bevorstehenden Angriff. UN- Chefinspektor David Kay berichtete, seine Leute seien im Irak auf große leere Hallen gestoßen, deren Inhalt offenbar vorher weggeschafft worden sei. Der Vorsitzende der UNO-Sonderkommission zur Vernichtung irakischer Massenvernichtungsmittel, Rolf Ekeus erklärte, der Irak habe immer noch eine „ruhende Fähigkeit“ zum Bau von Atomwaffen. UNO-Diplomaten ließen durchsickern, daß in dem Forschungszentrum Al Atheer, etwa 60 Kilometer außerhalb Bagdads weiterhin an einem Atomprogramm gearbeitet würde. Falls die UN-Inspektoren daran gehindert würden, den Komplex zu sprengen, könnte das die Bombardierung des Areals bedeuten. Zudem behauptet der israelische Generalstabschef, Ehud Barak, der Irak produziere weiterhin chemische Sprengköpfe und verberge Hunderte von Scud-Raketen. taud
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