Magdeburg bald Industriewüste?

Der Maschinenbauindustrie fehlen nach dem Zusammenbruch der Märkte in Osteuropa die Kunden/ Betriebsräte fordern die Aufstockung der Hermes-Exportbürgschaften für Rußland und Strukturpolitik  ■ Aus Magdeburg E. Löblich

Die Stadt Magdeburg, Hochburg des Maschinenbaus in Ostdeutschland, droht zur industriellen Wüste zu werden. Schon seit Januar sitzen über 2.000 ArbeitnehmerInnen der SKL- Motoren- und Systemtechnik AG zu Hause. Null Stunden Kurzarbeit für rund 75 Prozent der Belegschaft. Am Mittwoch demonstrierten erstmals 700 von ihnen auf dem Betriebsgelände. Katastrophenstimmung herrscht auch bei Sket, dem einst größten Maschinenbauer im Honecker-Staat. Dort droht ab Mai für 4.000 der derzeit etwa 5.000 Mitarbeiter Kurzarbeit Null. Bis Jahresende soll der Hersteller von Walzwerksanlagen ohnehin über 1.000 Arbeitsplätze abbauen.

Ursache der begründeten Endzeitstimmung im Magdeburger Maschinenbau ist der Zusammenbruch der Ostmärkte und, nach Ansicht von Betriebsräten und IG Metall, die fehlende Bereitschaft von Bund, Land und Treuhand, sich für das Überleben der ostdeutschen Maschinenbauindustrie einzusetzen.

„Wir schätzen den Bedarf an unseren Produkten in der GUS auf derzeit 480 Millionen Mark“, sagte SKL-Betriebsrat Peter Wandt. Davon sind Verträge mit einem Volumen von etwa 161 Millionen Mark fertig ausgehandelt, aber noch nicht unterschrieben. „Von diesen Aufträgen hängt aber das Überleben von SKL ab.“ Die Treuhand will im zweiten Quartal nur dann weitere Liquiditätsspritzen an SKL geben, wenn zumindest diese Verträge unter Dach und Fach kommen.

In der gemeinsamen Wirtschaftskommission zwischen Rußland und der Bundesrepublik versuchten die Russen bislang zu pokern, glaubt SKL-Vorstandsvorsitzender Ingo Döll. Die Russen wollten diese Aufträge nicht mit in das Fünf-Milliarden-Paket hineinnehmen, für das der Bund Hermes-Exportbürgschaften bereitgestellt hat, sondern neue Bundesbürgschaften für Lieferungen deutscher Unternehmen herausverhandeln. Die deutsche Seite sperrte sich, weil sie befürchtet, so letztlich die Finanzierung des Geschäfts tragen zu müssen. Die Unterschriften unter die für SKL so überlebenswichtigen Verträge fehlen noch immer.

Mit jedem Tag wird fraglicher, ob diese Verträge überhaupt so schnell wie notwendig abgeschlossen werden. Denn bei diesen Lieferungen handelt es sich um komplette Motoren und Ersatzteile für die Fischereiflotte und die Binnenschiffahrt Rußlands. Dort wechselt man die Motoren im Winter. Die Schiffe werden dort vertäut, wo sie schön fest einfrieren, dann wird der Rumpf aufgeschweißt und so die Maschine gewechselt. Aber auch in Rußland steht die Tauwetterperiode kurz bevor. „Es ist deshalb noch recht ungewiß, ob die Russen die Motoren vor dem nächsten Winter überhaupt gebrauchen können“, so ein SKL-Mitarbeiter.

Die Betriebsräte fordern gemeinsam mit der IG Metall und der SPD- Landtagsfraktion von Sachsen-Anhalt ein Umdenken der Bundesregierung und die Entwicklung tragfähiger beschäftigungs- und stukturpolitischer Konzepte. „Die derzeitige Treuhandpolitik ist eine Politik der Zerstörung“, meint Jörg Meding von der IG Metall. Statt Flickwerk über Liquiditätshilfen fordern die Metaller eine aktive ökonomische Sanierung der Betriebe. Eine weitere Forderung: sofortige Aufstockung der Hermes-Bürgschaften für 1992 von derzeit fünf Milliarden Mark auf mindestens das Drei- bis Vierfache. „Denn die Rettung des Magdeburger Maschinenbaus funktioniert nur, wenn endlich ein Minimum an Osthandel in Gang kommt“, so SPD- Fraktionschef Reinhard Höppner. Da sei der Bund gefordert. Gestern nach Redaktionsschluß tagte zwar Wirtschaftsstaatssekretär Dieter von Würzen mit dem stellvertretenden russischen Finanzminister Olschobikow, eine Einigung schien aber wegen der weit auseinanderliegenden Standpunkte höchst fraglich.

Die Magdeburger Metaller fordern außerdem die Herauslösung ihrer Betriebe aus der Treuhand und ihre Überführung in eine bundeseigene Holding. „An diese Probleme muß man eher unter dem volkswirtschaftlichen Aspekt herangehen“, meint Meding. Die Kosten für längerfristige Arbeitslosengeld- und Sozialhilfezahlungen würden bei weitem den Finanzierungsbedarf zum Anschub des Osthandels übersteigen.

„Wir wollen ja nicht ewig Bundesbetriebe bleiben“, sagt SKL-Betriebsrat Peter Wandt. „Wir wollen ja privatisiert werden, aber dazu brauchen wir den Zeitfaktor X.“ So lange nämlich, bis die Märkte in der GUS wieder in Gang kommen. „Bei VW und der Salzgitter AG in den Altländern hat das schließlich auch funktioniert.“ Und wie bei VW und Salzgitter stellen sich die Metaller eine Privatisierung über die Börse vor. Denn damit hätten auch die Menschen in Ostdeutschland die Chance, unternehmerisches Eigentum zu bilden.

Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) hat jedoch soeben die Übernahme von Sket in eine Bundesholding ausgeschlossen. In Magdeburg braut sich eine sozialpolitisch hochexplosive Mischung zusammen. „Und wenn die mal hochgeht“, prophezeit Wandt, „dann kommt es möglicherweise noch ganz anders als bei den Werften in Mecklenburg-Vorpommern.“