Beschäftigte 2. Klasse

■ Betr.: „Wir sind bereit — auf zum Streik“ — taz Bremen vom 9.3.92

Eine Tatsache hat in der Berichterstattung über die Tarifauseinandersetzungen im Öffentlichen Dienst wieder einmal keine Rolle gespielt: KollegInnen, die in Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens arbeiten, waren auch bei dieser Tarifrunde von vornherein ausgeschlossen, sofern sich ihr Betrieb in kirchlicher Trägerschaft befindet.

Das liegt daran, daß die kirchlichen Träger für sich ein Sonderrecht erzwingen konnten, welches die Tarifautonomie der bei ihnen Beschäftigten aufhebt. Pflegekräfte, ErzieherInnen, Handwerker und Hauswirtschaftskräfte, SozialarbeiterInnen usw. dürfen sich zur Durchsetzung von Lohn- und Tarifforderungen nicht zusammenschließen und kämpfen, wenn sie in einer kirchlichen Einrichtung arbeiten — ein in Europa bislang einzigartiger Vorgang!

Da die Kirche im sozialen- und Gesundheitsbereich schon so etwas wie eine Monopolstellung innehat, sind hiervon viele Angehörige entsprechender Berufsrichtungen betroffen. Sie sind auf eine Anstellung bei einem kirchlichen Träger angewiesen und müssen sich diesen Spielregeln unterwerfen, die sie zu Mitarbeitern 2. Klasse stempeln.

Zwar ist es richtig, daß die kirchlichen Träger bislang versucht haben, die für den öffentlichen Dienst ausgehandelten Tarife für ihren Bereich „abzuschreiben“. Fakt bleibt jedoch: die Tatsache, daß einem Großteil der KollegInnen im Sozial- und Gesundheitswesen verwehrt wird auf die für sie wirksam werdende Tarifbedingungen Einfluß zu nehmen, stellt eine eklatante Diskriminierung dar. Gleichzeitig trägt dies dazu bei, die Kampfkraft in diesem Bereich erheblich zu schwächen, so daß es nicht verwundert, wenn die Sozial- und Pflegeberufe zu den Nachzüglern in der tariflichen Entwicklung gehören.

Selbst die ÖTV — zumindest in Bremen — scheint sich mit diesem Zustand inzwischen recht gut eingerichtet zu haben und kommt damit den Absichten der Kirchenleitungen sehr entgegen: der kirchliche Bereich wird von ihr mehr schlecht als recht „verwaltet“. Auch auf Anfrage fühlt sich bei den hauptamtlichen Funktionären niemand so recht zuständig. Wen wundert es da, daß nicht einmal vor der Aufstellung der Tarifforderung durch die ÖTV irgendeine Betriebsgruppe in einer kirchlichen Einrichtung nach ihren Vorstellungen gefragt wurde?

Immer mehr betroffene KollegInnen haben es satt, als Beschäftigte 2. Klasse behandelt zu werden. Es wird Zeit, daß sich eine breitere politische Öffentlichkeit mit diesem Anarchronismus befaßt und auf seine Abschaffung drängt.

Bernd Rautenberg

Für den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der

Mitarbeitervertretungen

im Diakonischen Werk Bremen