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Lebenslanges Nachtleben

■ Kein zahnloser Blues-Opa, sondern ein Profi von seltener Güte: Altmeister B.B. King sang und spielte im ICC

Um es vorwegzunehmen: einziges Manko bei B.B. King's Stippvisite im leider nur zu zwei Dritteln gefüllten ICC war die Kürze seines Auftritts. Nach zwölf Titeln verabschiedete sich der ungekrönte Meister — trotz stehender Ovationen. Viele seiner Titel brachte er gar nicht. Alle Hits zu spielen wäre auch schlecht möglich gewesen. Schließlich ist der alte Mann des Blues seit 1951 in den Charts. Mit satten 80 Songs.

Die Band hat sich mit zwei Soul- Titeln die Finger warmgespielt, da schiebt sich B.B. King im golden glänzenden Jackett zur Bühnenmitte, hängt sich seine schwarze Gitarre namens Lucille vor den Wohlstandsbauch und gibt mit Let The Good Times Roll den Ton des Abends an. Das ICC wirkt steril, aber King ist ein Profi von seltener Güte, der immer gute Stimmung ausstrahlt. Sofort geht sie aufs Publikum über.

Messerstechereien und leerer Kühlschrank, Ratten in der Küche, schlechte Baumwollernte, Überschwemmungen des Mississippi oder Mojo-Zauber — die Themen aus der Frühzeit des Blues-Genres gehörten nicht zum Repertoire von King. Er paßt nicht in das romantisierte Klischee jener zahnlosen Bluesopas, die schon zum Frühstück Whiskey trinken. B.B. King lebt ohne Alkohol und Nikotin, ohne Drogen und Skandale. Stets ist er gepflegt gekleidet, und immer gibt er sich freundlich.

Obwohl King seit zwanzig Jahren auch in Las Vegas auftritt, ist seine Musik echt geblieben. Das Gitarrespielen hat sich der ehemalige Farmarbeiter nach Platten selbst beigebracht. Er vervollkommnete die von T-Bone Walker popularisierte Einzelnotentechnik und wurde damit zum Idol zahlloser Blues- und Rockgitarristen. Seine musikalische Laufbahn begann er zu einer Zeit, als die Platten der Schwarzen noch als »Rassenmusik« angeboten wurden und Nicht-Weiße »boy« genannt wurden. Die Initialen B.B. stehen für Blues Boy, nicht für Blues Man.

Zu den wichtigsten Facetten des Blues gehören Selbstmitleid und Selbstzweifel. In Chains of Love diagnostiziert King mitten auf der Bühne seine seelische Verfassung. Hoffnungslos fühlt er sich an seine Geliebte gekettet. Er singt davon, wie er morgens um drei aufwacht, um festzustellen, daß sie nicht mehr da ist. Es sind diese Art von Liedern, auf denen der Weltruhm B.B. Kings beruht: Sie sprechen eine einfache Sprache, die jedem verständlich ist.

Sicher, King hat auch eine Menge Studioplatten eingespielt, die ganz klar auf den Radiohörer zugeschnitten waren, doch auf der Bühne machte er keine Kompromisse. Ganz in alter Gospeltradition pflegt er das Ruf-und-Antwort-Spiel zwischen seiner Stimme und der Gitarre, zwischen sich und der Band. Er läßt die Gitarre sprechen, wo ihm die Worte zu fehlen scheinen, schüttelt sich mühelos die Bluesakkorde aus dem linken Ärmel, reißt mit der rechten Hand die typischen Blues-Töne an und läßt bei drei Instrumentalnummern auch seinen Mitmusikern viel Freiraum zu kleinen solistischen Höhepunkten.

Als er schließlich Nightlife anstimmt, eine Komposition des Countrysängers Willie Nelson, und darin den Preis für sein lebenslanges Nachtleben vorrechnet, mache ich im Kopf selbst eine Rechnung auf: durchschnittlich 300 Konzerte im Jahr seit 1950, das macht über 13.000 verschiedene Hotelbetten. Da ist die Frische des 66jährigen, seine Spielfreude, die bei aller Routine durchkommt, doch sehr erstaunlich. Als Zugaben spielt er seinen letzten Hit When Love Comes To Town — in rockigem Schnelltempo. Dann noch ein paar Hände schütteln in der ersten Reihe, ein paar gitarrenförmige Anstecker verteilt, und B.B. King verabschiedet sich winkend — ein weiteres Hotelbett inspizieren... Norbert Hess

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