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Erste Hauptprobe

Berliner Senat gibt grünes Licht für neue Struktur des Berliner Ensembles  ■ Von Sabine Seifert

Fünf Freunde suchen ihr Publikum. Sie sind Intendant, Chefdramaturg, Oberspielleiter, Hausregisseur. Sie werden sich untereinander abwechseln, damit die Sache nicht langweilig wird. Sie haben ein Theater, fast hundert Jahre alt, in Spuckweite vom Bahnhof Friedrichstraße gelegen. Das Theater ist schön, innen plüschig (und zählt zirka 250 festangestellte Mitarbeiter). Die fünf Freunde sind nicht mehr die Jüngsten. Aber sie gehören zu den Besten oder Wichtigsten. Passen sie zueinander oder bilden sie eine unheilige Allianz? Die fünf Freunde werden's uns zeigen.

„Ich halte es für einen immensen Gewinn für Berlin“, sagt Ivan Nagel über die jüngste Entscheidung des Berliner Senats, einem aus fünf Personen bestehenden Direktorium für das alte Brechttheater am Schiffbauerdamm, das nach wie vor das Markenzeichen „Berliner Ensemble“ auf dem Dach des Hauses zur Schau trägt, zuzustimmen. Der versierte Theatermann hatte für den Kultursenator im vergangenen Jahr ein Gutachten zur Theatersituation der geeinten Stadt erstellt. „Kein Gewinn ist ohne Risiko“, fährt er fort. Anders als er schlagen die meisten die Hände über dem Kopf zusammen über den so hartnäckig verfolgten Plan des Kultursenators Roloff-Momin, die fünf Herren Matthias Langhoff, Peter Zadek, Peter Palitzsch, Heiner Müller und Fritz Marquardt gemeinsam zu inthronisieren.

„Niemand fragt sich doch, warum Daimler Benz noch nicht daran kaputt gegangen ist, daß sie einen Vorstand mit Sprecher haben“, meint Nagel. Auch das Fünferdirektorium des BE wird im Zweijahresturnus jeweils einen Sprecher beziehungsweise geschäftsführenden Direktor aus dem eigenen Kreis berufen. (Ein Geschäftsführer, der Kontinuität leisten soll, muß zusätzlich ernannt werden.) Auf ein privatwirtschaftliches Modell setzt im übrigen auch der Berliner Senat: Das Berliner Ensemble soll in eine private GmbH umgewandelt werden, die das manövrierunfähig gewordene Schiff Stadttheater umgehen helfen soll. Die Direktoren werden zu Gesellschaftern und zahlen jeder 20.000 Mark ein. Von dem GmbH-Modell erhofft man sich langfristig Einsparungen; zugleich wird großzügig verfahren: Die jährliche Subventionssumme wurde von 14 auf 24,5 Millionen Mark hochgesetzt (das BE verfügt dann in etwa über das gleiche Budget wie die Schaubühne).

„Es hängt viel vom Verhandlungsgeschick der neuen Direktoren ab“, meint Ivan Nagel. Sollte das BE in seiner neuen Rechtsstruktur schnurstracks dem Bühnenverein beitreten, so würde es wieder an die Tarifverträge der einzelnen Bühnengenossenschaften gebunden sein. Und die sind einer sinnvollen Umverteilung der Arbeit und der Gelder im Theater nicht eben günstig. So wurden dank ihrer für die Angehörigen der ehemaligen DDR-Bühnen Rahmentarifverträge festgeschrieben, die nach 15 Jahren Festanstellung Unkündbarkeit garantieren. Das trifft — in der ehemaligen DDR — fast jeden. Eine Erneuerung, Verjüngung oder nur Vermischung der Ensembles ist damit so gut wie unmöglich geworden. Auch Frank Castorf, der im Herbst die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz übernehmen wird, steht vor diesem Problem. Da er die meisten Leute nicht rausschmeißen kann, muß er seine Wunschkandidaten schlicht „hinzukaufen“.

Man gedenkt also mit der neuen Rechtsform Geld zu sparen, das man möglicherweise gleich wieder zum Fenster rauswirft. Denn das Fünfermodell könnte sehr teuer werden. Ein jeder der Direktoren wird jährlich 120.000 Mark Gehalt beziehen und ist neben der beratenden oder verantwortenden Leitungstätigkeit zu einer Inszenierung pro Spielzeit verpflichtet, die ihm extra vergütet wird. Jeder der Herren ist ein möglicher Potentat — mit eigenem Hofstaat. Jeder ist ein unsicherer Kandidat. Fünf Männer, die Freunde geworden sind. Oder ein Zweckbündnis geschlossen haben. Zusammen ergeben sie ein gerüttelt Maß an potenzierter Kreativität, die entweder explodiert oder implodiert, zündet oder blockiert. Es wird der Wahnsinn oder die Hölle.

Für viele war es die Hölle, für die Jungen besonders. Sie litten unter der Erstarrung des Brechttheaters, das von Helene Weigel und Bertolt Brecht im Jahr der DDR-Staatsgründung gegründet wurde und seit 1954 am Schiffbauerdamm untergebracht war. Sie litten an der rigiden Einmischungspoliitk der Brechterbin Barbara Brecht-Schall, die bei jeder Inszenierung (im übrigen nach wie vor) ihre Zustimmung zum Regisseur und der Besetzung zweier Hauptrollen geben mußt(e). Dieses Recht nutzte sie weidlich für ihren Mann, den Schauspieler Eckehard Schall, der sich glattweg in vorderster Front durch alle Stücke spielte. Neuerdings hat die Brechterbin, die seit der Wende moderatere Töne anschlägt, die Brechtstücke für alle Berliner Bühnen freigegeben. Das Berliner Ensemble, das zahlreiche Brechtstücke seit vielen Jahren im Repertoire hat, macht damit seinen Umsatz. Theaterfolklore mit sozialistischem Flair, von Touristen mindestens so begehrt wie die in der Friedrichstraße von fliegenden Händler feilgebotenen Mützen mit rotem Stern oder Uhren im Sowjetdesign. Die verstaubten Inszenierungen jedenfalls sollen aus dem Programm fliegen, in Zukunft will man mit Ad- hoc-Mannschaften eine Produktion erarbeiten und en bloc spielen.

Nach Brechts Tod im Jahr 1956 hatte Helene Weigel die Regentschaft des Berliner Ensembles übernommen. Ruth Berghaus, ihre Nachfolgerin, galt als zu unorthodox und wurde 1977 geschaßt. Nach ihr kam Manfred Wekwerth — und blieb bis zum bitteren Ende; im vergangenen Jahr wurde er vom Kultursenator mit plumper Zudringlichkeit zum Rücktritt aufgefordert. Er nahm an. Die bleierne Zeit ging zu Ende.

Viele Leute sind vergrault worden am BE. Darunter Peter Palitzsch, der noch bei Brecht selber gelernt hatte und nach dem Mauerbau in den Westen ging. Vielleicht blieb er deshalb eher ein Brechtadept als ein Brechtrenegat. Heiner Müller beging den Vatermord. Matthias Langhoff, mit seinen fünfzig Jahren mit Abstand der jüngste im Senioren- oder sagen wir lieber Weisenrat (die anderen sind alle zwischen 60 und 70 Jahre alt), hat gleichfalls am BE assistiert, bevor er seine Ketzereien im Westen und schließlich in der französischen Schweiz fortsetzte. Fritz Marquardt ist heute noch Hausregisseur am BE, ein zahmer Wilder. Nur Peter Zadek, der nach eigenem Bekunden die Brechtinszenierungen in den 50er Jahren fantastisch fand, aber seine Stücke nie mochte, hatte bislang keinerlei künstlerische Berührung mit dem Haus. Allerdings hatte noch Manfred Wekwerth den Faust angeleiert, den Zadek nun mit Heiner Müller 1993 erarbeiten wird.

Fünf bekannte Männer, deren Freundschaft bislang unbekannt war. Aber wenn sie dran glauben, warum nicht?

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