piwik no script img

■ StadtmitteMetropole - kein Platz für Kinder und Alte?

Metropole — kein Platz für Kinder und Alte?

Regierungsviertel und Achsenkreuz, Potsdamer Platz und Stellplätze — das sind die Begriffe, die die gegenwärtige Diskussion um Berlins Entwicklung zur Metropole bestimmen. Sind wir dabei, eine Metropole zu konzipieren, die einen entscheidenden Teil der Bevölkerung, die Alten und Jungen, schlichtweg vergißt? Beherrschen nicht der Tunnel unter dem Kanzleramt, die Wohnungen für Regierungsbeamte und Manager, die Büroflächen auf dem Potsdamer Platz übermäßig die Diskussion um die künftige Stadtentwicklung? Berlin wird wachsen, aber wie?

Sozialpolitik erschöpft sich nicht im Knüpfen und Flicken des sozialen Netzes oder in der Fürsorge für Bedürftige. Sozialpolitik hat ein allgemeines Mandat für das soziale Miteinander in der Stadt. Sozialpolitik ist deshalb auch Bestandteil der Stadtentwicklung. Die Glas- und Marmorarkaden von Sony und Daimler-Benz am Potsdamer Platz werden Obdachlose anziehen, sie werden im Stadtbild präsent sein. Warum planen wir zum Beispiel nicht gleich geschützte Treffpunkte für Wohnungslose?

Schon jetzt ist der Wohnraum knapp, vor allem die erschwinglichen Wohnungen. Die Gewerbemieten explodieren, soziale Projekte und Einrichtungen werden verdrängt, ganze Bevölkerungsschichten drohen in dieser Umwälzung unterzugehen.

Der Senator für Bau- und Wohnungswesen weist in seinem Entwurf »Wohnungsbaustrategien '95« Flächen aus in einer Größenordnung von 80.000 Wohneinheiten, das bedeutet Wohnraum für rund 210.000 Menschen. Allein bis 1995 sollen davon 30.000 Wohneinheiten gebaut werden, hauptsächlich im Nordosten und Südosten von Berlin.

Sozialpolitische Anforderungen müssen von Anfang an gleichberechtigt in der Planung berücksichtigt werden. Wir brauchen nicht nur Kitas und Schulen, wir müssen schon jetzt Treffpunkte und Begegnungsstätten, Nachbarschaftseinrichtungen und Sozialstationen einplanen, später fehlt der Raum, und die Mieten werden unerschwinglich. Wir brauchen ausreichend große Wohnungen, für kinderreiche Familien, für Wohngemeinschaften für jung und alt. Oft wird nur an reiche Singles gedacht und nicht daran, wie die Generation, die jetzt die Stadt plant, später in ihr lebt.

Der Bedarf an sozialen Flächen muß von vornherein berücksichtigt werden. Kinder brauchen Platz zum Spielen, sie müssen ihre Wohnungen verlassen können, ohne gleich durch den Verkehr gefährdet zu sein. Sie brauchen genauso wie ältere Menschen Raum, Freiräume, für Begegnungen, für Kommunikation und soziale Interaktion. Nur in Freiräumen kann sich ein multikulturelles Klima entfalten, eine Atmosphäre, in der sich alle wohlfühlen. Berlin als Weltstadt, als möglicher Austragungsort der Olympischen Spiele und der Paralympics muß einfach ausländerfreundlich sein.

Alle Stadtentwicklungbereiche müssen behindertengerecht gestaltet sein. Dies gilt nicht nur für die Ausgestaltung der Verkehrsmittel, der öffentlichen Plätze und Gebäude, die selbstverständlich barrierefrei zugänglich sein müssen, sondern auch für die Wohnungen: ausreichend Bewegungsflächen, schwellenfrei, entsprechend breite Türen etc. Behindertenfreundliche Ausstattungen nutzen auch Müttern und Vätern mit einem Kinderwagen und Einkaufstaschen. Die Bewerbung Berlins für die Paralympics wird eine behindertenfreundliche Stadtentwicklung zusätzlich fördern.

Wesentlich für eine lebenswerte Stadt ist, daß der Weg der behutsamen Stadterneuerung weitergegangen wird. Die soziale Durchmischung in den Innenstadtbereichen muß erhalten bleiben, das normale Leben mit Kindern, Alten und auch Armen muß auch in der Innenstadt möglich sein.

Wir dürfen diese Menschen nicht an den Stadtrand verbannen. Diese sozialpolitischen Anforderungen gilt es in der Stadtplanung zu verankern, denn Stadtentwicklung muß den Menschen dienen, ihrem Wohnen und Arbeiten, ihrer Versorgung, auch ihrem Vergnügen, und sie muß ihrer sozialen Situation gerecht werden.

Die Sozialdemokratin Ingrid Stahmer ist Sozialsenatorin in der Großen Koalition von CDU und SPD in Berlin. In der Kolumne »Stadtmitte« schreiben Persönlichkeiten zu den Problemen der zusammenwachsenden Hauptstadt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen