Slowaken fordern Unabhängigkeit

6.000 DemonstrantInnen in Bratislava/ Nationale Parteien distanzieren sich von radikalnationalistischen Splittergruppen/ Slowakische Führung setzt auf Spaltung des Staates  ■ Aus Prag Sabine Herre

Wie die Bilder sich gleichen. Ebenso wie vor einem Jahr versammelten sich auch gestern auf dem „Platz des slowakischen Nationalaufstandes“ in Bratislava Tausende, um an die Gründung der „Slowakischen Republik“ am 14. März 1939 zu erinnern. Wie vor einem Jahr ertönten im Zentrum der slowakischen Hauptstadt nationalistische Rufe. „Weg von Prag“, „Für eine unabhängige Slowakei“ lauteten die gemäßigteren, zu hören und zu lesen war aber auch: „Tschechen, Ungarn, Juden raus“.

Und doch scheint alles ganz anders als vor einem Jahr. Nicht nur daß die Zahl der Teilnehmer mit rund 6.000 nur halb so hoch wie 1991 war. Nicht nur, daß die Stimmung trotz einiger hitziger Redner seltsam kühl blieb. Entscheidend ist vor allem eines: Im Unterschied zu den Demonstrationen im letzten Jahr haben sich nun alle „großen“ nationalistischen Gruppierungen von den seit mehreren Tagen stattfindenden Kundgebungen radikalnationaler Splitterparteien distanziert. Die Gründung des klerikalfaschistischen Staates unter Jozef Tiso, der nichts anderes war als ein Vasall Hitlers, sei für sie „kein Anlaß zum Feiern“.

Eine Distanzierung, die nicht nur in Prag mit Erleichterung aufgenommen wurde. Hatten doch zwei vorausgegangene Ereignisse befürchten lassen, daß der 14. März zu einer „Demonstration der nationalen Einheit der Slowaken“ werden würde. Zunächst waren Anfang der vergangenen Woche die Verhandlungen über den zukünftigen staatsrechtlichen Aufbau der CSFR abgebrochen worden.

Zwar hatten die Parlamentspräsidien der tschechischen und der slowakischen Republik noch Mitte Februar im mährischen Milovy aufgrund der Kompromißbereitschaft des slowakischen Premiers Jan Carnogursky die meisten der seit nahezu zwei Jahren umstrittenen Kompetenzfragen lösen können. Schließlich war diese Einigung jedoch von den slowakischen Parteien abgelehnt worden. Im Gegensatz zu dem christdemokratischen Ministerpräsidenten waren sie nicht bereit, auf einen zwischen den beiden Republiken abzuschließenden — und die Souveränität der Slowakei betonenden — „Staatsvertrag“ zu verzichten.

Der vorübergehende Kompromiß von Milovy war aber auch der Anlaß für das zweite Ereignis, das die slowakische politische Szene entscheidend veränderte. Da auch Mitglieder der Christdemokratischen Bewegung selbst das Einlenken Carnogurskys nicht mittragen wollten, entschieden sie sich für die Gründung einer „Slowakischen Christdemokratischen Bewegung“. Gemeinsam mit ihren Abgeordneten ist die links-nationalistische Opposition seitdem in der Lage, im slowakischen Nationalrat die Regierungsfraktionen zu überstimmen.

Und so war die tschechische Regierung auf das Schlimmste gefaßt. Bereits eine Woche vor dem 14.März erklärte sie ihre Alarmbereitschaft. Sollte bei den Demonstrationen die „Unabhängigkeit der Slowakei“ ausgerufen werden, war man bereit, darauf mit „Maßnahmen eines Krisenszenarios“ zu reagieren. Doch auf den Straßen und Plätzen der Slowakei fielen an diesem Wochenende keine politischen Entscheidungen.

In der Slowakei ist — glaubt man den Berichten der Massenmedien — die Entscheidung bereits gefallen: Obwohl der Wahlkampf für die Parlamentswahlen am 5. und 6. Juni noch nicht einmal begonnen hat, sind die Meinungsforscher davon überzeugt, daß in der tschechischen Republik die „Rechten“ unter Finanzminister Vaclav Klaus, in der Slowakei jedoch die „links-nationalistischen Kräfte“ unter dem ehemaligen slowakischen Ministerpräsidenten Vladimir Meciar siegen werden. Nahezu überzeugt ist die öffentliche Meinung auch, daß diese diametralen Kräfte kaum den Willen und die Fähigkeit haben werden, um eine tschechoslowakische Föderalregierung zu bilden.

Und so ist aus „gewöhnlich gut informierten Kreisen“ zu hören, daß es für die tschechische Regierung nur mehr um die „Art und Weise der Trennung der Föderation“ gehe, angeblich haben Klaus und Meciar bereits Vereinbarungen über den Weg dieser Trennung geschlossen.

Und während die Mehrheit der Minister der liberalen Bürgerbewegung sowie Staatspräsident Vaclav Havel Zweckoptimismus verbreiten, spricht ein anderer Minister Klartext. Thomas Jezek, verantwortlich für die Privatisierung der tschechischen Staatsbetriebe, stellte fest, daß diese Privatisierung wichtiger als der Erhalt der staatlichen Einheit ist.

Anders ausgedrückt: Wenn sich in der Slowakei diejenigen Kräfte durchsetzen, die für eine Änderung des ökonomischen Reformprogramms sind und damit die Privatisierung in Böhmen und Mähren behindern, wäre es am besten, die CSFR zu teilen.

Kein Wunder, daß diese Positionen in der Slowakei zu einer heftigen Attacke gegen die andere Republik genutzt wurde. Zum erstenmal, so fast alle wichtigen Gruppierungen in seltsamer Eintracht, zeige sich nun „tschechischer Nationalismus“, an dem die Föderation scheitern könne. Nach der Ansicht „politischer Beobachter“ war jedoch genau dies schon immer das Ziel der nationalistischen Parteien der Slowakei.

Durch die Obstruktion der Verhandlungen über die neue tschechoslowakische Verfassung sollten die Tschechen gezwungen werden, selbst den Schlußstrich zu ziehen. Dieses Ziel haben sie nun — fast — erreicht, dazu waren keine Demonstrationen mehr nötig.