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Geräuschakrobatik

Michael Quast, ein Monty Python der Radioshow  ■ Von Arnd Wesemann

Kürzlich erst beging eine ungeliebte Aspirin-Tablette Selbstmord im Wasserglas. Wir wischten uns die Augen, halb lach-, halb schmerzvertränt. Der Mann am Tisch schob eine einsam-traurige Aspirin ums Glas Wasser, von den Bonbons verhöhnt, die sich in ihre Tüte zurückgezogen hatten. Sie feierten dort. Die Aspirin-Tablette aber: ertrank. Der Künstler bekam einen Puppenspielpreis.

Kleinkunst ist wie das Theater eine Imitation. Wenn Michael Quast auf der Bühne losgluckst vor seinem Mikro, ein paar Pfiffe, Quietscher, ein Säuseln und ein Wort: „Borneo“, dann sind wir mitten im Urwald. Seinem kleinen oralen Theater entlockt er spitze Triller. Schon im wenigsten hört man den Regenwald sterben. Knirsch — die Indianer verkrümeln sich. Zing — die Papageien führen einen Veitstanz auf. Nichts davon ist zu sehen. Nur sein akrobatisches Mundwerk, ein paar flinke Gesten, eine weggewedelte Fliege. Das Gefiepe ist sein Markenzeichen.

Quasts Stimmgeräusche sind weder nachgeahmt noch nachahmend. Wenn ein Kind etwa „brrrumm“ macht, imaginiert es Autofahren. Doch ahmt es das Auto wirklich nach? Welches Auto macht denn „brrrumm“? Wir haben einen merkwürdigen Schatz an Geräuschen, die — plopp — buchstabengetreu das Öffnen einer Sektpulle imitieren. Einen Furz nachmachen kann jeder. Nur: selten hört sich ein Furz so an wie der nachgeahmte, der einem internationalen Vokabular von Geräuschen aus dem Munde angehört.

Wolfgang Deichsel hat Quasts Gezische, Gekreische, Gehupe bereits 1987 zu einem Drama verwurstelt. Der Clown im Deichsel-Stück Midas heißt Quast. Der macht das rauschende Meer. Agent: „Ja, ganz gut.“ Quast: „Jetzt mit Möwen“ (macht's). Agent: „Sehr gut! War'n Sie denn schon mal am Meer?“ Quast: „Nein, das würde mich ablenken, ich bin kein Naturalist, man muß das in sich haben! Jetzt mit Dampfer!“ (macht's). Und tief unten im Dampferbauch läßt er Wasser ins Stahldunkel tropfen...

In der taz stand zum Ergebnis: „Seine Stimmgeräusche machen das Theater so undicht, als sei ein Leck im Bühnenhaus, als würden wir, auf seinen Zuruf, ersaufen müssen.“ Quast macht den Dampfer, die Möwen, die Brandung. Und Kunst. Zumindest nähert er sich ihr (etwa Kurt Schwitters' Wortgehäcksel zum Vorbild nehmend).

Kleinkunst mit Akzent auf Kunst. Doch „klein“ nur bezogen auf Quasts anatomisch kleinen Mund. Er sagt aber nicht: Kleinkunst. Er sagt: Ich als Kabarettist. Er war in Lore Lorenz' Düsseldorfer Kom(m)ödchen — doch Kabarett langweilte ihn: „Gibt's einen Birkelnudelskandal, muß ein Birkelnudelwitz her.“ Statt dessen Gelächter über eine im Kochtopf weicher und weicher werdende Nudel, voll mit komischen Bestandteilen aus der chemischen und gentechnologischen Industrie, die der Nudel ihre Existenz streitig machen. Eine Erzählkunst.

Er sagt darum: Ich als Schauspieler. Er war in Ulm, spielte in Wedekinds Marquis von Keith (Hilfsdorf in Ulm machte einen Klamauk daraus, Quast zog mit Freuden mit). Er spielte Deichsels Bleiwe losse und Fassbinders Der Müll, die Stadt, der Tod, spielte Hauptmanns Die Ratten. Er drehte einen Film mit Robert van Ackeren, Die wahre Geschichte von Männern und Frauen. Quast als Schauspieler, einer der komödiantisch Begabten und Eigensinnigen; dies genug, um auf eigene Faust Theater zu machen, jenseits von Ensembles. Quast ist nun an die Frankfurter Oper geladen, um in der Fledermaus die Rolle des betrunkenen Gefängniswärters Frosch zu geben. Eine Rolle, die vor ihm nur Leute vom Schlage eines Heinz Rühmann mit Bravour behoben.

Die Geräuschakrobatik dagegen war zunächst nur ein Kneipenwitz. Entertainment am Küchentisch für seine Freunde, und dann: Notlösung, als ihm kurz vor der Premiere zu Die Wüste lebt ein paar Übergänge fehlten. Er spielte dort einen Rundfunkmoderator in doppelter Position: als Reporter und als das Unglück, von dem er berichtet. Die Welt läßt er bis zum Zerreißen der Stimmbänder zusammenstürzen und kommentiert dann als erstauntes Kind, wie die Welt, die er soeben entworfen hat, in sich zusammenknickt. Ein ganzer Quast. Seither hat er ein weiteres Spielbein. Einmal monatlich moderiert er im Hessischen Rundfunk seine eigene Radioshow.

Der Geräuschakrobat am Äther. Das dem Mund entlockte Hörspiel kehrt in seiner jüngsten Produktion Unter Geiern wieder, die soeben in Frankfurt Premiere hatte. Eine Radioshow für die Bühne — mit einer dreiköpfigen Jazzband — statt aufgelegter Platten. Quast am Mikro ersetzt die Jingles, jede Ansage ist ein O-Ton-Hörspiel. Quast hat dazu den Kontertenor in sich — der kann auch singen.

Kabarett ist das nur in soweit noch, als ein Cyrano von Bergen- Enkheim durch die Show reitet, der Rächer der Entsorgten. Er reitet in kleinen Fortsetzungshäppchen durch die Supermärkte, über Staukreuzungen und durch Hausmülltonnen, immer den Degen parat, immer dabei, sich der kleindeutschen Umwelt-Ignoranz als D'Artagnan zu entledigen. Die gekreuzten Degen sind zwei Löffel aus der Kantine. Der Rest ein Hörspiel. Die Pointe Klamauk. Das Publikum kreischt — weniger wegen des Witzes; es kreischt entzückt darüber, wie Quast in Pennälermontur mit den Händen in den Hosentaschen ohne Aufhebens ein ausverkauftes Haus an den Abgrund der Einbildungskraft führt.

Er zischt ins Mikro — Sturm. Er holt einen Schlüsselbund aus der Tasche — Schlittenglöckchen. Wiehernd, schnaubend, peitschend — Schlittenfahrt durch Sibirien. Daß er diese Szene mit einem Honecker- Witz beendet: so nur, um die Szene überhaupt an ein gutes Ende zu führen. Wir sitzen im Schlitten, hören die Wölfe hinter uns, es friert, die Glöckchen bimmeln.

Quast ist ein Monthy Python der Radioshow. Die Geräuschakrobatik hat durch und durch musikalische Dimension gewonnen. Kunstvoll ist vor allem seine Collagekomposition. Höllisches Gelächter bringt er hervor, wenn seine Situationsgeräusche nicht nur illustrieren, nicht nur Atmosphäre schaffen. Wenn er beginnt, die kleinen Triller und Träller aus dem Zusammenhang herauszureißen, sie woanders zu zitieren — Cyrano im Dschungel von Borneo, Honecker plötzlich nach einem Moskito flapschend, wo er eben noch auf einem Schlitten im Eis saß: Ein solcher Höhepunkt seiner Radioshow für Bühne und Äther ist — ein kleinstes Moment.

Solche zwanzig, dreißig Gesten und Geräusche aber rafft er wie Bonbons in eine Tüte, die er immer parat hat. Der Klamauk allein zerginge wie eine triste Aspirin-Tablette im Wasserglas. Kleinkunst — so theatert — ist eine Kunst.

Michael Quast ist zur Zeit auf Deutschland-Tournee.

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