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Der blaue Reiter reitet wieder

Selten ausgestellte Aquarelle und Zeichnungen von Wassily Kandinsky  ■ Von Stefan Koldehoff

Wassily Kandinsky war ein Mittler zwischen der östlichen und der westlichen Kultur; er lebte in Moskau, München und Paris. Seit durch die Westöffnung der ehemals sowjetischen Staaten auch weitestgehend unbekannte Depots und Archive der Museen zur Verfügung stehen, haben seine Bilder geradezu Hochkonjunktur. Nach der großen Retrospektive 1984 im Pariser Centre Pompidou widmeten schwedische Museen dem kurzen Schaffen Kandinskys in Skandinavien eine umfassende Ausstellung. 1985 folgte im New Yorker Guggenheim Museum ein Überblick über die Jahre im Pariser Exil, wo der Maler 1944 starb; 1989 schließlich sahen beinahe 200.000 Besucherinnen und Besucher in einer von der Frankfurter Schirn Kunsthalle und der Tretjakow-Galerie eingerichteten Übersichtsausstellung vor allem jene Werke aus allen Schaffensperioden, die bis dahin in den sowjetischen Depots schlummerten. Kandinsky überall.

Auf die Bestände der russischen Museen hat Armin Zweite für seine aktuelle Kandinsky-Ausstellung in Düsseldorf bewußt verzichtet. Zweite ist Leiter der „Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen“, die zur Zeit unter dem Titel Kleine Freuden ausschließlich selten gezeigte Aquarelle und Zeichnungen des Meisters ausstellt. „Wir haben vor allem solche Blätter ausgesucht, die schon früh in Privatbesitz gegangen und deshalb nur ganz selten zu sehen gewesen sind“, erläutert der ehemalige Hüter vom Nachlaß des „Blauen Reiter“ im Münchner Lenbachhaus sein Ausstellungskonzept. Die Leihgaben — von Japan über Mexico City bis Sidney kommend — besorgte dabei vor allem Gastkuratorin Vivian Endicott Barnett. Als Leiterin des Kandinsky-Archives am Guggenheim Museum und Redakteurin des Oeuvre-Kataloges verfügte sie über so gute Kontakte, daß nur an wenigen Stellen der Ausstellung öffentliche Museen mit ihren Blättern eine Lücke schließen mußten.

Im Vergleich zu den großen Gemälden als kleine intime Formate angelegt, sind die Papierarbeiten keine bloßen Vorentwürfe oder Skizzen: 1911 etwa entstand Kandinskys Entwurf für den Umschlag des gemeinsam mit Franz Marc im Piper Verlag herausgegebenen Almanachs Der blaue Reiter. Scheinbar schwerelos schwebt der Reiter mit rotem Umhang auf seinem weißen Pferd gen Himmel. Die luftigleichte Szene vor blaßgelbem Hintergrund umfängt ein mehrere Zentimeter dicker aquarellierter gemalter Rahmen in Nachtblau. Auf dem im selben Jahr entstandenen Blatt Mit drei Reitern sind die Pferde schon nur noch als die später für Kandinsky so tpyischen geschwungenen Linien auszumachen. Die Bildgründe fließen ineinander. Gerade in diesen spontanen Aquarellen wird deutlich, wie groß des Malers Beitrag zur Weiterentwicklung der Kunst im 20.Jahrhundert war: Als erster Künstler wagte er schon um 1910, sich ganz auf seine Gefühle und Empfindungen zu verlassen, um so zu ungegenständlichen Bildern zu finden. „Bilder müssen klingen“, lautete eine der Forderungen des Hobbymusikers Kandinsky. Ein 1924 entstandenes Hochformat trägt denn auch den inspirativen Titel Helle Klarheit, obwohl es allein aus geometrischen Formen komponiert ist. Auf dem Malgrund hat sich die Emotion gegen den Verstand durchgesetzt.

Daß hierbei den vom Zwang des Abbildens befreiten Linien eine mindestens ebenso große Bedeutung zukommt wie Kandinskys entfesselten Farbsymphonien, belegen in der Düsseldorfer Ausstellung vor allem die nur in schwarzer Tusche gezeichneten Blätter. In ihnen schien Kandinsky mal mit filigraner Feder und dann wieder in expressivem Pinselschwung die eigenen Möglichkeiten und ihre Wirkung ausprobieren zu wollen. Eigenen Bestand haben sie trotzdem behalten. Und diese Blätter sind es auch, die vor allem verhindern, daß die Düsseldorfer nur eine Kandinsky-Ausstellung unter vielen ist: In dieser Dichte und Anhäufung werden die hoch lichtempfindlichen Papierarbeiten nach der zweiten Ausstellungsstation in Stuttgart so schnell nicht wieder zu sehen sein.

Wassily Kandinsky: Kleine Freuden. Aquarelle und Zeichnungen. Bis 10.Mai in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; vom 23.Mai bis 5.August in der Staatsgalerie Stuttgart. Katalog: 232Seiten mit 174Farb- und 69Schwarzweiß-Abbildungen. Prestel Verlag, München: Museumsausgabe 49DM, Buchhandelsausgabe 98DM.

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