: Ein Meter fünfzig
Ein Buch mit acht Porträts von deutschen Filmregisseurinnen ■ Von Christiane Peitz
Das Frauen Film Handbuch von 1984 verzeichnet für die Bundesrepublik 476 Regisseurinnen. Der erfolgreichste Film des Jahres 1986, der alle US-Produktionen der Saison überrundete, war Männer. Das gab es noch nie: Ein deutscher Film, produziert für die lächerliche Summe von 800.000DM, an der Spitze der Kassenschlager. Regie: Doris Dörrie.
Haben die Frauen im Kino sich durchgesetzt? Versteht sich inzwischen von selbst, was Pionierinnen wie Helke Sander und Helma Sanders-Brahms seit 1968 mühsam erkämpften? Die Filmwissenschaftlerin Renate Fischetti hat acht westdeutsche Regisseurinnen und ihre Filme dazu befragt: Sander und Sanders-Brahms, Claudia von Alemann, Ula Stöckl, Margarethe von Trotta, Jutta Brückner, Ulrike Ottinger und Doris Dörrie. Das Dumme dabei: Die Antworten weiß sie schon vorher.
Zum Beispiel ihre Filmanalysen. Alle Werke der Genannten bezeichnet Fischetti als alternativ, radikal und unbequem, als Avantgarde und gegen die Konvention gerichtet. Ihr Lieblingswort: subversiv. Zur Definition des Begriffs bemüht sie einschlägige Feministinnen wie Luce Irigaray und nutzt die Formeln vom „weiblichen Blick“, von Bewußtseinsveränderung und emanzipatorischer Ästhetik wie Etiketten für ein Warensortiment, das — vergleicht man etwa Sanders' Der subjektive Faktor mit von Trottas Rosa Luxemburg — sich kaum mit Hilfe so weniger Adjektive über einen Kamm scheren läßt. Die Kritik am Klischee vom erfolgreichen Filmemacher und seiner unterdrückten weiblichen Kollegin bedient sich selbst einer Vorurteilsstruktur, über die nicht einen Satz lang nachgedacht wird. Da führt Ula Stöckl beispielsweise zu den Gegensatzpaaren Erzählkino/ Avantgarde, Kunst/Unterhaltung aus, daß sie „überhaupt nur zur Avantgarde gehören kann. Ganz einfach, weil ich es mir wahrscheinlich nie verkneifen kann, in eine Geschichte immer etwas einzubauen, was nicht ins Schema paßt, und weil ich mich nie beschränken lernen werde, weil ich es nicht will, nur einen Aspekt einer Sache zu erzählen, weil ich finde, das Leben ist viel komplizierter. Und Kunst ist auch nichts Einfaches.“ Ich denke, jeder Tatort baut immer etwas ein, was nicht ins Schema paßt. Daß sich die Qualität sowohl eines Krimis als auch eines Kunstwerks daran mißt, wie man es einbaut, macht Fischetti nicht zum Thema. Selten fragt sie nach, in der Regel bestätigt sie und bedauert ihre Gesprächspartnerinnen, weil ihnen Leben und Arbeit ja soo schwer gemacht werden.
Schlimm wird es, wenn sie auf die Ästhetik der Bilder zu sprechen kommt. Alle Filme, über die sie schreibt, findet sie gelungen, die meisten davon „schön“. Der Mühe zu beschreiben, was ihre Schönheit ausmacht, unterzieht sie sich nicht: „Die Filme von Ulrike Ottinger sind schön anzuschauen. Man merkt ihnen an, daß die Filmemacherin als Malerin und Fotografin angefangen hat. Jedes Bild ist bis ins kleinste Detail durchkomponiert. Jede Einstellung ist ein Kunstwerk. Besondere Sorgfalt gilt den Farben und dem Licht. Auch Kostüme und Requisiten entwirft Ulrike Ottinger selbst. Ihre Filme sind auch schön anzuhören.“ Umgekehrt erzählt Fischetti gelegentlich den Plot oder auch einzelne Sequenzen inklusive sämtlicher Kameraschwenks akribisch nach, ohne daß ihre Beobachtung in so etwas wie einen Gedanken mündete. Reine Fleißarbeit.
Auch das Fußnotenwerk ist peinlich, manchmal komisch. Da wird uns zum Beispiel erklärt, daß eine Schamanin eine Priesterin und was ein „Road Movie“ ist. Auch die „Nouvelle Vague“, nachdem sie schon mehrfach Thema war, wird auf Seite173 mal eben in drei, vier Sätzen definiert. „Im Mittelpunkt des Films steht die Beziehung der ,Berührten‘ zu dem Neger Demba“, heißt es in einer Anmerkung zum Interview mit Helma Sanders-Brahms. Darin wird ausführlich auf das Leben im geteilten Berlin eingegangen: Das Interview, erfahren wir in einer weiteren Fußnote, wurde vor dem Fall der Mauer geführt; auch das mit Helke Sander ist vier Jahre alt. Eine Ergänzung hielt die Autorin offenbar nicht für nötig, ganz zu schweigen von einem Porträt wenigstens einer Regisseurin aus der östlichen Hälfte Deutschlands. Zwischen den beiden Gesprächsteilen mit Ula Stöckl, die als solche nicht kenntlich gemacht sind, liegen sogar acht Jahre. Nichts Neues für Ula Stöckl zwischen 1982 und 1990?
Der Anhang mit Filmo- und Bibliographien der Porträtierten ist ebenfalls lückenhaft. Zeitungsartikel scheinen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt: So ist der 'Tagesspiegel‘ zwar ausführlich ausgewertet, die überregionalen Blätter tauchen vereinzelt auf, aber taz-Artikel, wie etwa die von Helke Sander, fehlen, mit Ausnahme eines einzigen.
Lesenswert an diesem über 300Seiten dicken Buch sind am ehesten die Marginalien. Da erzählt Ula Stöckl, das elfmal ausgesprochene Wort „ficken“ in ihren Geschichten vom Küberlkind habe anläßlich einer Vorführung in Neuseeland zu diplomatischen Verwicklungen geführt. Claudia von Alemann berichtet, wie sie sich mangels Geld Schwarzweiß- Material aus Beständen des amerikanischen Militärs besorgt hat, um daraus einen ihrer ersten Dokumentarfilme zu drehen. Helke Sander hatte bei ihren ersten Arbeiten noch mit dem Vorurteil zu kämpfen, daß sie ja zwangsläufig alles aus der falschen Perspektive filme, weil sie nur ein Meter fünfzig groß sei. Und Helma Sanders-Brahms erwähnt, daß das Material Zelluloid weltweit nur in begrenzter Menge vorhanden ist und sich zum Ende neigt. Wenn das stimmt, warum informiert uns Fischetti diesmal nicht mit Hilfe einer Fußnote? Gegenüber Jutta Brückner erwähnt sie wiederum, Pornos seien zum großen Teil von Frauen produziert. Auch hierzu enthält sie uns Genaueres vor. Ähnlich knapp werden die beiden Prozesse angemerkt, die die Darstellerin Heidi Stroh gegen Ula Stöckl führte, weil sie sich in ihrer Rolle in Neun Leben hat die Katze nicht gefiel. Eine Auseinandersetzung, über die ich im Zusammenhang mit dem vielbeschworenen „weiblichen Blick“ gerne mehr erfahren hätte. Aber sie paßte wohl nicht ins Schema vom Frauenkampf in der Männerwelt.
Ärgerlich an all diesen Dümmlichkeiten ist vor allem eins: Sie verstellen den Blick für die Tatsache, daß dieser Kampf keineswegs gewonnen ist. Helke Sanders' SDS- Rede von 1968 über die notwendige Politisierung des Privaten, die in diesem Buch dankenswerterweise erneut dokumentiert ist, liest sich immer wieder überraschend aktuell. Überhaupt wäre der ja eigentlich verblüffende Zusammenhang zwischen der Entstehung der Frauenbewegung in der BRD und den ersten explizit feministischen Filmen eine genauere Betrachtung wert: Sander erzählt beiläufig, sie habe die Frauen- und die Kinderladenbewegung gegründet, weil sie das Filmemachen, Geldverdienen und Kindversorgen nicht mehr unter einen Hut bekommen habe. Ein bis heute nicht gelöstes Problem.
Auch in der Filmbranche sieht es, trotz Erfolgen wie dem von Doris Dörrie, nach wie vor nicht rosig aus. Fördergremien, von denen hierzulande das Zustandekommen eines Films wesentlich abhängt, sind immer noch eine Männerdomäne, die Filmkritik ebenfalls. Im Januar wurde auf dem Filmplakat für The Doctor über dem Foto des Hauptdarstellers William Hurt mit der Zeile geworben: „Von dem Regisseur von Gottes vergessene Kinder“. Der Name des Regisseurs fand sich unten im Kleingedruckten: Randa Haines heißt er und ist eine Frau. Bei der Berlinale im Februar liefen rund 500 Filme, nur ein knappes Zehntel davon stammte von Frauen. Im Wettbewerb gab es ganze drei Filme von Regisseurinnen zu sehen. Eine davon, die Spanierin Pilar Miró, wurde in einer Filmkritik kurzerhand zum Mann gemacht. Die Rezension stand nicht in einem Branchenblatt. Zu lesen war sie in der taz.
Renate Fischetti: Das neue Kino — Acht Porträts von deutschen Regisseurinnen. tende Verlag, Frankfurt 1992, 333S., 46DM.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen