: Zucker, Hering, Eismaschine
■ Taufrische Kulturwissenschaftler wollen ihr Wissen mit einem Ausstellungs-Service vermarkten
hierhin die beiden
jungen Männer
Christoph Wagner und Dietmar Erben
Wenn Ihre Zigarrenfabrik 100 Jahre alt wird und Sie gern eine Ausstellung dazu hätten; wenn Sie das Jahrhundertwerk über die Kulturgeschichte der Badewanne schreiben wollen und Material suchen; wenn Sie für Ihr Löffelbagger-Museum ein Modell des ersten hölzernen Dampflöffelbaggers suchen: Die richtige Adresse wäre Kultur Akzent, ein ganz neuer kulturwissenschaftlicher Verein.
„Kulturwissenschaften“: das war vor einigen Jahren der inneruniversitär skeptisch beäugte Versuch, dem Automatismus „Lehramtsstudium — Arbeitslosigkeit“ etwas entgegenzusetzen. Das Magisterstudium sollte die Absolventen in die Lage versetzen, mit Kulturwissenschaft Geld zu verdienen. Die meisten derartigen Phantasien richteten sich auf's Museum.
Eine Gruppe von etwa zwölf künftigen Kultur-Magistern, alle kurz vor der Prüfung, hat schon mal ernst gemacht. Beraten und unterstützt vom Literaturwissenschaftler Dieter Richter haben die Studenten den Verein Kultur Akzent gegründet (d.h. der Antrag liegt beim Amtsgericht), mit dem sie ihr Können als Wissenschaftler vermarkten wollen. Im Angebot: Ausstellungen vorbereiten, machen, für Finanzierung sorgen, bestehende Ausstellungen vermitteln, Literatur-Recherche, Unterstützung von Geschichtswerkstätten u.ä. Projekten.
Am Anfang war der Zucker. 1988 bot Richter eine zahnrelevante Veranstaltung mit dem Thema „Süßhunger“ an, ein Projekt zur Kulturgeschichte des Süßen. Das schließlich akkumulierte Material war derart umfangreich, daß man auf die Idee kam, eine Ausstellung zu machen. Diese wurde 1990 im Bremer Überseemuseum realisiert und stieß auf erfreulich viel Resonanz. 1991 wurde sie in Lüdenscheid gezeigt, und beste Aussichten bestehen, daß „Süßhunger“ demnächst in Rostock zu sehen sein wird.
Dietmar Erben (39) ist freiberuflicher Graphiker und betreibt zusammen mit Sigrid Heisterberg, gelernter Apothekerin und Graphikerin, ein kleines Büro. Die beiden arbeiten für Schulbuchverlage, machen wissenschaftliche Graphik und zeichnen innovative Stiftzähne. Und sind StudentInnen der Kulturwissenschaft. Was sie für Kultur Akzent mitbringen, ist Ausstellungs- Knowhow. Im „neuen“ Übersee- Museum haben sie '79 die Südsee-Abteilung mitgestaltet; auch für die Stadtwerke und das Info- Center „Naturpark Wattenmeer“ haben sie gearbeitet. Christoph Wagener dagegen ist der Mann, der den Hammer bedienen kann. Der gelernte Mühlenbauer interessiert sich für „Primitiv-Technologie“ und hat für „Süßhunger“ die Zuckerrohr-Mühle gebaut (funktioniert!). Eine hat Film studiert, eine andere schon ein Museum eingerichtet , eine dritte Kleinkunstfestivals organisiert.
Was fehlt, ist der Geldbeschaffer. Die Kunst der Sponsoren- Aquisition wird an der Uni noch nicht vermittelt, und wenn man eine Ausstellung verkaufen will, ist es gut, wenn man die Geldgeber auch gleich mitbringt. „Süßhunger“ ausleihen kostet immerhin 15.000 Mark. Und 50.000 Mark muß einwerben, wer, wie Kultur Akzent, die Nürnberger Ausstellung „Unter Null“ nach Bremen holen will. Eine Kulturgeschichte der Kälte-Maschinen.
Pläne hat Kultur Akzent genug: Die Mitarbeiterin Kerstin von Freytag-Loringhoff hat zu Hause eine feine Sammlung von Mopeds der Fünfziger Jahre, von Möbeln, Kleidung und Alltagsdingen; mit dem Ernährungsmuseum von „Nestle“ in Genf steht man in Verhandlungen; eine Ausstellung zum „Hering“, das wär doch was; oder zum Thema „Hund und Mensch“ ...
Der Uni Lüneburg haben die Bremer KulturwissenschaftlerInnen bei der Ausstellung „Maschinen-Phantasien“ geholfen (sponsored by Beate Uhse), die auch nach Bremen kommen soll. Knapp vor einem Verhandlungsabschluß stehen sie mit ??? und ????. Nein, da sind die Akzentler ganz professionell: vorschnelle Veröffentlichung würde die Verhandlungen gefährden! Burkhard Straßmann
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen